Schattenfluegel
sich auf ihr Bett fallen gelassen, da klingelte es unten an der Haustür. Sie hörte, wie geöffnet wurde. Als sie die Stimmen erkannte, die nun lauter wurden, sprang sie mit einem Satz wieder auf die Beine.
Die Polizei!
Kriminalkommissarin Keller fragte nach Kim.
»Sie ist oben«, hörte sie Sigurd sagen. »Ich gehe sie holen.«
»Nicht nötig!« Kim riss die Tür auf. »Ich komme schon.«
Sie eilte die Treppe hinunter, ohne dabei den Blick von Frau Kellers Gesicht zu lassen. Weidenschläger stand schräg hinter ihr und schwieg, während Frau Keller sich an Kim wandte.
»Wir müssen dich leider noch mal nach dem Verbleib von Lukas Neumann fragen.«
Kim wich einen Schritt zurück. »Wie … ich hab keine Ahnung, wo er ist!«
Frau Keller zeigte zum Küchentisch. »Dürfen wir uns setzen?«, fragte sie Johanna.
Die nickte. »Natürlich.«
Die beiden Beamten ließen sich auf zwei Stühle fallen und Kim schob sich neben ihre Mutter auf die Eckbank.
Ihre Knie waren weich wie Gummi und die Hände hatten wieder angefangen zu zittern. »Was ist mit Lukas?«, gelang es ihr mühsam zu fragen.
Frau Keller ging nicht auf ihre Frage ein. »Stimmt es, dass er sich mit einem anderen Jungen geprügelt hat?«, fragte sie stattdessen.
»Er hat sich nicht geprügelt!«, verteidigte ihn Kim. »Jonas hat ihn angegriffen und zusammengeschlagen. Lukas hat sich nicht gewehrt.«
Frau Keller nickte. »Ja. Das deckt sich mit den Aussagen des Lehrers, der Lukas in die Notaufnahme gebracht hat. Hast du eine Ahnung, wo Lukas hingegangen sein könnte, nachdem ihn das Krankenhaus entlassen hat?«
»Nach Hause, vermutlich«, murmelte Kim und dachte daran, dass Lukas ganz allein wohnte. Ob er Hilfe brauchte?
Sie sah, wie Frau Keller den Kopf schüttelte. »Da ist er nicht. Der Lehrer sagte uns zwar, dass er ihn auf Anraten des Arztes dort abgeliefert hat, aber wir haben ihn dort nicht angetroffen.«
Kim verschränkte ihre zitternden Finger ineinander. »Was wollen Sie denn von ihm?«
»Wir haben noch ein paar Fragen an ihn.« Es war das Erste, was Kommissar Weidenschläger sagte. Er klang hart. Ganz anders als noch am Morgen, als er Kim gegenüber so verständnisvoll und freundlich gewesen war.
»Fragen?«, echote Kim.
Frau Keller nickte. »Die DNA-Analyse von Lukas’ Speichelprobe ist abgeschlossen«, erklärte sie. »Dabei hat sich herausgestellt, dass er nicht Ninas Mörder sein kann.«
Erleichterung überkam Kim mit der Wucht einer riesigen Welle.
»Das ist nicht alles!«, wehrte Frau Keller ab. »Wie gesagt, mit Ninas Tod hat er offensichtlich nichts zu tun. Aber dafür haben wir in Maries Hand ein Haar gefunden.« Sie machte eine kleine Pause, die sich bis in die Unendlichkeit zog. »Den ersten mikroskopischen Untersuchungen zufolge sieht es ganz danach aus, als stamme es von Lukas. Tut mir leid, Kim.«
Kim schloss die Augen. Es war also doch wahr? Lukas hatte Marie … sie war nicht in der Lage, den Satz zu Ende zu denken. Nein! Das konnte sie einfach nicht glauben! Ein leises Wimmern löste sich von ihren Lippen.
»Das ist noch kein endgültiger Beweis«, sagte Kommissar Weidenschläger. »Wir müssen noch auf das Ergebnis der DNA-Analyse warten. Trotzdem ist es ein Indiz, durch das Lukas von einem normalen Verdächtigen zu unserem Hauptverdächtigen geworden ist. Und deshalb müssen wir dich jetzt noch mal fragen, Kim: Weißt du, wo sich Lukas im Moment aufhält?«
Langsam schüttelte Kim den Kopf. »Ich weiß es nicht!«, flüsterte sie.
Es war die reine Wahrheit.
Kapitel 20
Die weißen Wände in Kims Zimmer sahen nicht mehr aus wie Eisberge, sondern wie eine Lawine, die im nächsten Moment alles zu zerquetschen drohte. Kim lag auf ihrem Bett, starrte gegen die Decke und versuchte, Angst, Nervosität und Hilflosigkeit unter Kontrolle zu halten.
Die Polizei hatte Indizien, die auf Lukas als Mörder hindeuteten. Wieder sah Kim das Gesicht vor sich, das er gemacht hatte, als Jonas ihn zusammengeschlagen hatte. Ich war es nicht, hatte er gesagt. Aber die Kommissare glaubten ihm nicht. Was war, wenn sie recht hatten? Wenn Lukas nur ein brillanter Schauspieler war? Wenn er ihr die ganze Zeit etwas vorgemacht hatte?
Kim rollte sich auf die Seite und zog die Knie an die Brust wie ein Embryo im Mutterleib. Ihr Magen schmerzte, genauso wie ihr Herz. Sie kniff die Augen zusammen, wollte nichts mehr sehen, nichts mehr hören, nur noch schlafen. Endlich Ruhe haben vor den eigenen rasenden Gedanken.
Doch noch bevor sie
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