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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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die andere über seinen Kopf gestreckt.
    »Ist er …«
    »Dem geht’s gut«, erstickte Sigurd ihre Frage im Keim. »Der wacht wieder auf, aber das wird eine Weile dauern. Komm jetzt!« Sanft schob er Kim nach draußen. Die Glühbirne auf dem Gang gab ein leises, kaum hörbares Summen von sich. »Stell dich dahin.« Sigurd schob Kim zu einer Wand und wartete, bis sie sich angelehnt hatte und einigermaßen sicher stand. Dann zückte er sein eigenes Handy, tippte drei Ziffern und wartete kurz. »Ja«, meldete er sich schließlich. »Mein Name ist Steinhauer. Ich befinde mich in der Ruine des Ausflugslokals Waldschlösschen und ich glaube, ich habe eben den Mörder von Nina Ferber und Marie Gottwald gefasst. Ja. Nein. Es gab einen Kampf. Mir geht es gut, danke.« Er lauschte einen Moment, dann nickte er. »Gut. Wir warten hier. Bitte schicken Sie auch ein Krankenwagen. Meiner Tochter geht es nicht besonders gut. Der Kerl hatte sie in seiner Gewalt. Ich glaube, sie hat einen Schock.« Wieder lauschte er. Dann sagte er: »Danke.« Und legte auf. Prüfend schaute er Kim an. »Geht es? Hilfe ist unterwegs. Bis dahin sollten wir dafür sorgen, dass Lukas nicht abhauen kann.« Er strich Kim sanft über die Wange. Seine Finger fühlten sich heiß an gegen den kalten Schweiß auf ihrer Haut. Meine Tochter hat einen Schock, hatte Sigurd der Notrufzentrale gesagt. Das konnte durchaus sein. Ihr Kopf fühlte sich an, als sei er völlig blutleer. Ihr war schwindelig und sehr schlecht. Tränen schossen ihr in die Augen.
    Lukas!
    »Die DNA-Analyse«, krächzte sie. »Ist das sicher?«
    Mitleidig sah Sigurd sie an. »Ich weiß, dass du Lukas gemocht hast«, sagte er leise. »Aber es ist sicher, ja. Es besteht kein Zweifel daran, dass er …« Er unterbrach sich, winkte ab und meinte dann: »Lassen wir das! Reden wir lieber über andere Dinge. Die Frau in der Notrufzentrale hat mir gesagt, dass ich mich um dich kümmern soll.« Kurz warf er einen Blick in den Kellerraum. Zufrieden wandte er sich wieder Kim zu. Offenbar hatte Lukas sich bisher nicht gerührt.
    Habe ich ihn …?
    Sie rutschte an der Wand ein Stück nach unten.
    »Komm!«, meinte Sigurd. »Setz dich lieber, bevor du noch umfällst.« Und er half ihr, sich auf dem kalten Fußboden niederzulassen.
    Sie lehnte den Kopf an die Wand und schloss die Augen, aber dadurch wurde das Schwindelgefühl nur noch schlimmer, also riss sie sie wieder auf.
    Sigurd redete jetzt fast ununterbrochen. Er erzählte ihr von Johanna und dem Streit, den sie gehabt hatten, als Kim sich heimlich aus dem Haus geschlichen hatte. »Kannst du dir vorstellen«, lachte er, »sie weigert sich, zurück in die Klinik zu gehen. Sagt, sie will bei dir bleiben und sich um dich kümmern. Sie glaubt wohl nicht, dass ich das genauso gut hinbekomme. Ist das zu fassen?« Eine Weile lamentierte er noch herum, beschwerte sich darüber, dass Johanna ihm nie zutraute, für Kim da zu sein, dass sie viel zu verständnisvoll mit Kim gewesen wäre, ihr zu viele Dinge erlaubt hatte, die er ihr nie hätte durchgehen lassen.
    Kim versuchte, ihre Lider vom Zufallen abzuhalten. Bildete sie sich das nur ein oder wurde Sigurds Stimme wirklich immer lauter und schneller? Irgendwie, fand sie, klang er auch gar nicht mehr beruhigend, sondern fast ein bisschen wütend.
    Sie sah zu, wie er wieder in den Kellerraum spähte, und während er das tat, redete und redete er.
    »Newsweek hat sich gemeldet. Sie wollen auch den Artikel über die Navajo.« Sein Blick huschte über sie hinweg und ein ganz seltsames Glitzern erschien in seinen Augen. Mit der linken Hand spielte er an dem dicken Silberring herum, während er Kim davon vorschwärmte, was es für eine Ehre war, in diesem amerikanischen Nachrichtenmagazin veröffentlicht zu werden. Kim konnte den Blick nicht von dem silbernen Adlerkopf auf dem Ring lassen. Sie musste daran denken, wie Lukas sich an dem schweren Ding verletzt hatte. Das war erst vor ein paar Tagen bei ihnen im Garten gewesen, aber es kam ihr so vor, als wäre es schon Jahre her. Etwas erzitterte in Kim und sie konnte nicht mehr klar denken. Irgendwas, dachte sie träge, stimmt nicht. Aber was? Das Geräusch von Sigurds Stimme wurde zu einem Rauschen in ihrem Kopf.
    Und dann stellte er Kim eine sehr seltsame Frage.
    »Wusstest du …« Ein Lachen schüttelte ihn und er musste neu ansetzen. »Wusstest du, dass die Navajo ein Symbol für Reinheit und Jungfräulichkeit haben?«
    Kim rieb sich die Augen. Sie war müde.

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