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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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zweiten Pass habe machen lassen. Dämliches Pack!«
    So ganz verstand Kim immer noch nicht, worauf er hinauswollte. Fragend sah sie ihn an.
    Er starrte ihr in die Augen. Dann nickte er nachsichtig. »Nachdem man Ninas Leiche gefunden und DNA-Spuren an ihr rekonstruiert hatte, hat man in ihrem gesamten Umfeld Tests durchgeführt. Jeder musste eine DNA-Probe abgeben, aber keine passte zu der vom Tatort. Natürlich nicht. Weil sie von mir stammte und weil man mich niemals zu einer Probe aufgefordert hat.«
    »Warum nicht?« Langsam setzten sich die Teile in Kims Kopf zu einem Bild zusammen, aber sie wollte Sigurd reden lassen. Die Kälte des Fußbodens hatte inzwischen ihre Jeans durchdrungen, ihr war eiskalt. Ihr Unterkiefer zitterte.
    »Weil ich in Amerika war!« Plötzlich schrie Sigurd. »Und niemand hat geahnt, dass ich mir schon vorher einen zweiten Pass hatte machen lassen. Ich bin mit meinem richtigen Pass ausgereist und zwei Wochen später mit ihm auch wieder nach Deutschland eingereist. Ein wunderbares Alibi, nicht wahr? Sie waren sicher, ich konnte Nina nicht getötet haben, also fragten sie mich auch nicht nach einer DNA-Probe.«
    Kim schluckte. »Aber du bist zwischendurch mit dem gefälschten Pass zurückgekommen?«
    Sigurd nickte. »Heiner Nerius, das war der Name, unter dem ich wieder eingereist bin. Eigentlich war es also er, der deine Schwester umgebracht hat. Nicht ich.« Er kicherte. »Und Nerius hat als Zeichen für ihr Vergehen die Libelle auf ihr Gesicht gelegt. Niemand hat begriffen, was er damit sagen wollte.«
    Die Libelle als Symbol für Reinheit und Jungfräulichkeit! Jetzt endlich ergab sie einen Sinn. Sie war Sigurds Anklage gewesen, seine Art, der Welt zu zeigen, warum Nina hatte sterben müssen. Weil sie in seinen Augen verdorben gewesen war.
    »Warum Marie?«, flüsterte Kim.
    Sigurd sah mitleidig auf sie herab. »Oh. Das war ein Unfall! Ich wollte sie nicht töten. Als du am Samstagabend in deinem Zimmer verschwunden bist und ich dachte, dass du ein braves, sittsames Mädchen bist, da bin ich hinter Marie hergegangen. Wir haben uns eine Weile unterhalten. Sie war sehr aufgeschlossen für meine Sichtweise der Welt, hat sich sogar von mir ein Eis ausgeben lassen. Dummerweise ist mir dann beim Bezahlen das hier aus der Tasche gefallen.« Er griff in seine Hemdtasche und zog ein flaches, quadratisches Holzkästchen hervor. Es sah aus wie eine Schachtel, in der man eine Halskette verschenken konnte. Sigurd öffnete den winzigen goldenen Verschluss und klappte es auf.
    Kim erstarrte.
    Auf einem Bett aus schwarzem Samt lag, wie ein kostbares Schmuckstück, eine grün schillernde, tote Libelle.
    »Das ist natürlich nicht die, die Marie entdeckt hat. Die hat man ja bei ihrer Leiche gefunden. Sie hat sie aufgehoben und angestarrt und Heiner Nerius, dieser Idiot – er konnte seine Klappe nicht halten. Er hat ihr doch glatt erzählt, dass man Ninas Leiche mit einer solchen Libelle auf dem Gesicht gefunden hat. So ein Trottel, stell dir das vor!«
    Kim bohrte die Fingernägel in ihre Handflächen. Es gab nur eine Erklärung für Sigurds verrücktes Verhalten. Er war schizophren! Er hatte mehrere Persönlichkeiten in sich, die abwechselnd die Kontrolle über ihn übernahmen. In Bio hatten sie schon einmal über diese Krankheit gesprochen.
    »Marie hat begriffen, dass du Nina getötet hast«, hörte Kim sich sagen. Wie konnte ihre Stimme nur so unendlich ruhig klingen? Verlor sie jetzt langsam auch den Verstand? Mit einem Ohr lauschte sie auf ein Geräusch aus dem Kellerraum.
    Lukas!
    Sigurd nickte langsam, und als er jetzt weitersprach, tat er es mit derselben hohen, piepsigen Stimme, mit der er vorhin »Gut gemacht!« gesagt hatte. Es war Nerius’ Stimme. »Du siehst doch sicherlich ein, dass ich sie nicht am Leben lassen konnte, oder? Leider hat sie die Libelle zerdrückt, als sie sich gegen mich wehrte. Sie taugte anschließend nicht mehr für meine Zwecke, also habe ich darauf verzichtet, sie ihr auf das Gesicht zu legen. Wenn dadurch auch das Kunstwerk unvollendet geblieben ist.«
    Kunstwerk!
    Kim konzentrierte sich auf den Schmerz in ihren Handflächen, den ihre Fingernägel verursachten. Nur nicht durchdrehen! Sie suchte in Sigurds Miene nach jenem Mann, der ihrer Mutter geholfen hatte, sie aufzuziehen. Jener Mann, auf dessen Knien sie als kleines Kind geritten war – er schien fort zu sein. An seine Stelle war ein kaltblütiges, irrsinniges Monster getreten.
    »Wie hast du es geschafft,

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