Schattenfreundin
Komplizen gibt.«
»Okay. Sprechen wir erst mal mit den Eltern, dann nehme ich mir die Nachbarn vor«, sagte Käfer.
Sie stiegen aus, und erst in diesem Augenblick bemerkten sie, dass eine ältere Frau am Wagen stand. »Was wollen Sie von uns?«, fragte sie misstrauisch. »Sind Sie vielleicht von der Polizei? Ist hier eingebrochen worden? In letzter Zeit wird ja so viel eingebrochen! Schlimm ist das.«
»Wohnen Sie hier?«, fragte Käfer.
»Ja. Ich wohne in dem Haus«, antwortete sie und zeigte auf das Haus links von dem der Ortrups. »Werres ist mein Name, Doris Werres.«
Käfer stellte sich und Charlotte vor und fragte Frau Werres, ob ihr auf dem Grundstück der Familie Ortrup heute irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen sei.
»Warum? Ist was passiert?« Frau Werres kam neugierig näher.
»Bitte beantworten Sie unsere Frage«, schaltete Charlotte sich ein. »Es ist sehr wichtig.«
Frau Werres schüttelte den Kopf. »Es war einiges los heute. Die Eltern sind am Vormittag weggefahren, ganz in Schwarz gekleidet. Bestimmt zu einer Beerdigung. Der Sohn war nicht dabei.« Sie räusperte sich. »Das habe ich nur zufällig gesehen. Nicht dass Sie denken, ich spioniere denen hinterher!«
»Nein, nein!« Charlotte bemühte sich um ein freundliches Lächeln. »Haben Sie – zufällig natürlich – auch gesehen, ob der Sohn irgendwann das Haus verlassen hat, zusammen mit einer anderen Frau?«
Frau Werres schien plötzlich zu begreifen. »Ist der kleine Junge verschwunden?« Sie lachte spöttisch auf. »Der ist doch schon öfter mal ausgebüxt«, sagte sie. »Wenn Sie mich fragen, die Mutter hat den Kleinen nicht im Griff. Der ist sogar schon mal verschwunden, während sie in der Küche saß und mit irgendeiner anderen Frau seelenruhig gequatscht hat. Schrecklich, diese jungen Frauen heute. Wollen sich unbedingt selbstverwirklichen und vernachlässigen dann ihre Kinder. Schlimm …«
Charlotte unterbrach sie. »Ist Ihnen vielleicht ein fremder Wagen aufgefallen oder ein fremde Person?«
»Nein«, antwortete Frau Werres pikiert. »Aber …«
»Ich werde später zu Ihnen kommen, um Ihre Personalien aufzunehmen, und Ihnen noch ein paar Fragen stellen«, sagte Käfer. »Vielen Dank.«
Gemeinsam mit Charlotte ging er zum Haus der Ortrups.
»Nette Nachbarschaft«, sagte Charlotte spitz und schüttelte den Kopf.
Ein schwarz gekleideter, auffallend gut aussehender Mann öffnete ihnen, stellte sich als Thomas Ortrup vor und führte sie ins Wohnzimmer. Überall standen Umzugskartons herum. Im Schein der untergehenden Sonne tanzten Staubkörner in der Luft. Auf einem hellen Sofa saß eine blonde Frau, auch sie in Schwarz gekleidet, und starrte mit verweinten Augen ins Leere. In der Ecke, auf einem kleinen Beistelltisch, stand eine Legoburg. Sie wirkte einsam und verlassen, als wenn sie darauf wartete, dass ein Kind damit spielte.
Thomas Ortrup bat sie, Platz zu nehmen. Er selbst ging unruhig auf und ab. Charlotte merkte ihm an, wie sehr er sich sorgte. Er war blass, hatte dunkle Ringe unter den Augen, und eine tiefe Falte teilte seine Stirn.
»Wir haben noch nichts gehört«, sagte er mit rauer Stimme, nachdem Käfer ihn gefragt hatte, ob die Frau sich schon gemeldet habe.
»Am besten, Sie schildern uns jetzt noch einmal ganz genau, was heute passiert ist«, sagte Käfer.
Katrin Ortrup schien erst jetzt zu bemerken, dass jemand das Wohnzimmer betreten hatte. Sie blickte sie fragend an. Charlotte stutzte. Irgendwie kam die Frau ihr bekannt vor, aber sie konnte sie nicht einordnen.
Im Gegensatz zu ihrem Mann wirkte Frau Ortrup nicht nur besorgt, sie schien völlig neben sich zu stehen. Charlotte erinnerte sich an traumatisierte Überlebende von Unglücken, die sie im Zuge ihrer Opferbetreuung kennengelernt hatte. Katrin Ortrup war kaum ansprechbar, sie kaute an den Fingernägeln und knibbelte an der Nagelhaut. Zwischendurch holte sie immer wieder tief Luft.
»Können Sie mir Namen, Handynummer oder Adresse von der Frau geben?«, fragte Käfer gerade.
»Die Handynummer funktioniert nicht mehr«, sagte Herr Ortrup. »Das haben wir schon ausprobiert.«
»Wir lassen das trotzdem überprüfen.«
»Sie nannte sich Tanja Meyer. Die Handynummer muss ich raussuchen, Moment. Du hast sie doch gespeichert, Schatz, oder?«
Frau Ortrup zuckte nur mit den Achseln.
»Haben Sie zufällig ein Foto von ihr?«, fragte Käfer.
Herr Ortrup schüttelte den Kopf. »Nein, nicht dass ich wüsste.« Er kniete sich vor seine Frau.
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