Schattenfreundin
zusammenhalten.«
»Ja«, sagte Thomas nur.
Ihre Blicke trafen sich, doch sie sahen beide schnell wieder weg.
»Kommst du wieder nach Hause?«, fragte Thomas vorsichtig.
Katrin zögerte. Dann nickte sie. »Morgen vielleicht«, sagte sie schließlich. »Heute noch nicht. Ich muss erst noch was erledigen. Gestern Abend habe ich die Patientenakten meines Vaters gefunden. Die will ich durchsehen, vielleicht finde ich ja einen Hinweis.«
»Ich könnte dir doch helfen …«
Katrin schüttelte den Kopf. »Lass nur. Ich möchte das lieber allein machen.«
Thomas nickte. »Danke. Danke, dass du zurückkommst.«
Eine Zeit lang saßen sie schweigend da. Katrin war froh, dass sie sich überwunden hatte, Thomas zu verzeihen. Vielleicht war das ein gutes Zeichen. Ein Zeichen, dass sich nun alles zum Besseren wendete. Auf einmal durchzuckte sie ein schrecklicher Gedanke. Und wenn es gar nichts Besseres mehr gab? Wenn nur noch dunkle Zeiten auf sie warteten? Wenn Leo …?
»Ich fühle mich so elend, wenn ich daran denke, dass unser Leo vielleicht nicht mehr am Leben ist«, sagte sie und schluchzte auf.
Thomas nahm sie in die Arme und drückte sie an sich.
»Ich habe das Gefühl, wenn ich diesen Gedanken zulasse, dann ist das sein Todesurteil. Dann ist es vorbei«, sagte sie unter Tränen.
»Du darfst so was nicht denken«, sagte Thomas. »Er lebt. Er muss leben. Er muss .«
Katrin löste sich aus seiner Umarmung und sah ihn mit tränenfeuchten Augen an. »Ich denke immer, ich müsste es spüren, wenn er nicht mehr am Leben wäre! Ich bin doch seine Mutter, ich müsste es fühlen!«
Thomas nickte. Seine Unterlippe zitterte. Er nahm sie wieder in die Arme, und Katrin spürte seine Tränen in ihrem Nacken. »Er lebt. Er muss leben!«
»War was? Warum bist du so plötzlich aufgebrochen?«, fragte Käfer, als er sich neben Charlotte stellte, die an der Bushaltestelle den Fahrplan studierte.
»Ich brauchte frische Luft«, antwortete sie, ohne den Blick vom Fahrplan zu nehmen. »Alle zehn Minuten fährt ein Bus in die Innenstadt«, fuhr sie fort. »Endstation ist der Neumarkt, mitten in der City. Ob Tanja in Osnabrück wohnt?«
Käfer zuckte mit den Schultern und sah auch auf den Fahrplan. »Oder sie ist zwei Stationen vorher am Hauptbahnhof ausgestiegen, um den Zug nach Münster zu nehmen.«
»Jedenfalls ist sie mit dem Auto gefahren, als sie zusammen mit Ben diesen Klaus besucht hat«, überlegte Charlotte. »Ben hat gesagt, Klausi würde in einem großen Wald leben …«
»Das hilft uns nicht weiter. So viel Wald, wie es im Münsterland gibt …«
Charlotte nickte und wandte sich Richtung Auto. »Lass uns noch mal alle Fakten durchgehen, vielleicht finden wir irgendeinen Hinweis, der uns weiterhilft.«
Sie stiegen ein und fuhren los.
»Wir sollten davon ausgehen, dass dieser Klaus sehr schwer krank ist«, sagte Charlotte.
»Und er ist kein Patient zweiter Klasse.«
»Genau. Er ist unverschuldet krank geworden. Vielleicht ist er bei einem Unfall verletzt worden …«
»Den Franz Wiesner verursacht hat?«
»Wäre denkbar«, sagte Charlotte. »Oder irgendjemand aus der Familie Wiesner/Ortrup ist dafür verantwortlich. Oder Tanja macht ihn dafür verantwortlich.«
»Was meinst du damit?«
»Es gibt so etwas wie eine Schuldprojektion. Wenn zum Beispiel ein Autofahrer bei einem Unfall zu Schaden kommt, den er durch ein Ausweichmanöver selbst verursacht hat. Ein Kind rennt auf die Straße, du weichst aus und rast gegen einen Baum«, erklärte Charlotte. »Dann wäre es durchaus möglich, dass du dem Kind die Schuld an deinen Verletzungen gibst, obwohl es, objektiv gesehen, natürlich völlig unschuldig ist.«
»Verstehe«, sagte Käfer. »Stellen wir uns also vor, dieses Kind war Leo, und Tanjas Ehemann wurde bei einem solchen Ausweichmanöver schwer verletzt …«
»Dieser Klaus ist nicht ihr Ehemann«, unterbrach Charlotte ihn.
»Wieso nicht?« Käfer bog auf die Bundesstraße ein, auf der sie die Autobahn erreichen würden.
»Wenn dein eigener Mann schwer krank ist, dann sprichst du über den kranken Ehemann einer anderen nicht so abfällig«, sagte Charlotte.
»Und wenn die Ehe im Eimer ist?«
»Dann pflegst du deinen kranken Mann nicht«, entgegnete sie. »Dann lässt du dich scheiden und überlässt ihn sich selbst.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber wen würdest du als Frau als Letztes im Stich lassen? Zumindest statistisch gesehen?«
»Dein Kind.«
»Ganz genau. Das belegen fast alle Untersuchungen.
Weitere Kostenlose Bücher