Schattenfreundin
spöttisch. »Und wahrscheinlich haben die sich dann auf ihre Weise dafür bedankt …«
»Was meinen Sie damit?«, fragte Charlotte.
»Auch als die Damen nicht mehr auf der Straße arbeiteten, ging mein Mann abends noch oft in die Praxis. Und von da an hatten wir immer eine Menge Bargeld im Haus.«
»Sie meinen, Ihr Mann ließ sich seine medizinische Hilfe nicht nur mit Liebesdiensten bezahlen, sondern auch mit Geld?«
»Woher sollte er es sonst haben? Ins Spielcasino ist er jedenfalls nicht gegangen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Und, ehrlich gesagt, ich will es auch gar nicht wissen. Das alles widert mich an. Ich schäme mich für meinen Mann und für sein sündiges Doppelleben. Auch wenn seit ein paar Jahren damit Schluss war und er sich wieder anständig benommen hat. Es ist und bleibt eine Sünde, was er getan hat. Ich kann ihm nicht verzeihen, auch jetzt nicht.«
Charlotte erwiderte nichts. Was sollte sie auch sagen? Sie hatte Mitleid mit Luise Wiesner, die so viel hatte durchmachen müssen. Aber warum war sie immer noch so hartherzig? Konnte sie nicht verzeihen? Nicht einmal hier, am Grab ihres Mannes?
»Vielen Dank«, sagte Charlotte schließlich. »Ich fahre heute noch zu Ihnen nach Hause, um die Praxisunterlagen abzuholen. Vielleicht gehörte Tanja zu den Frauen, die Ihren Mann nach Feierabend aufgesucht haben, weil sie seine Hilfe brauchten …«
»Dies ist die Mailbox von Thomas Ortrup. Ihr Anruf kann zurzeit nicht entgegengenommen werden. Sie haben aber nach dem Signalton die Möglichkeit, Ihren Namen und eine Nachricht zu hinterlassen.«
»Schatz, ich bins. Ich weiß, wo Leo ist. Ich bin auf dem Weg zu ihm. Ruf mich bitte sofort an, wenn du das hier abgehört hast!«
Katrin warf das Handy auf den Beifahrersitz und trat aufs Gaspedal. Mit Vollgas raste sie über die A1 Richtung Osnabrück. Es würde ungefähr zwanzig Minuten dauern, bis sie die Ausfahrt Lengerich erreichte.
Gott sei Dank war nur wenig Verkehr. Irgendwelche Geschwindigkeitsbegrenzungen waren ihr egal. Endlich wusste sie, wo Leo war. Hoffentlich ging es ihm gut, hoffentlich hatte Tanja ihm nichts getan.
Es war ein Klaus gewesen, dem ihr Vater regelmäßig tausend Mark und später tausend Euro überwiesen hatte. Ein gewisser Klaus Meyerhof steckte hinter der Nummer 093 741 000, Vater unbekannt, Mutter Tanja Meyerhof.
Tanja Meyer .
Nervös biss Katrin an ihrer Nagelhaut. Warum hatte ihr Vater diesen Klaus unterstützt? Er musste jetzt sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein, Tanja war also noch minderjährig gewesen, als sie das Kind zur Welt gebracht hatte.
Wie aus dem Nichts tauchte ein furchtbarer Gedanke auf. War Klaus das Kind ihres Vaters? Hatte er die minderjährige Tanja geschwängert und dann jahrelang für seinen unehelichen Sohn gezahlt? Ein bitterer Geschmack füllte ihre Kehle. Ihr Vater hatte vor siebzehn Jahren eine Affäre mit einem Teenager gehabt, der genauso alt war wie sie selbst, wie seine eigene Tochter …
Welche Erklärung sollte es sonst geben? War Tanja vielleicht doch eine minderjährige Prostituierte gewesen, die von ihrem Vater behandelt worden war? Aber wenn sie den Akten und den Aussagen ihrer Mutter glaubte, hatte ihr Vater sich damals schon nicht mehr eingesetzt für die Frauen vom Straßenstrich. Das war Mitte der Achtzigerjahre gewesen. Die Zahlungen an Klaus begannen aber erst 1993.
Dennoch, ihr Vater hatte diesen Klaus finanziell unterstützt, so viel war klar. Und auch, dass er Tanjas Sohn war. Egal. Dort, wo Klaus war, war Tanja. Und dort, wo Tanja war, war Leo.
Leo … Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Schnell blinzelte sie sie weg.
Endlich hatte sie die Ausfahrt erreicht. Sie verließ die Autobahn und hielt an einer Tankstelle, um sich zu orientieren. Hektisch schlug sie die Straßenkarte auf. Und jetzt? Sie wusste, sie musste sich Richtung Tecklenburg halten. Sie sah durch die Windschutzscheibe. Gab es denn hier kein Straßenschild? Mist! Jetzt rächte es sich, dass sie sich immer gegen ein Navi gewehrt hatte. Sie wollte schon aussteigen und jemanden von der Tankstelle fragen, da entdeckte sie ein Schild. Also los, unter der Autobahn durch und dann immer geradeaus. Nach ungefähr einem Kilometer musste sie nach rechts abbiegen. Die Straße führte durch einen dichten Laubwald. Das grüne Blätterdach schloss sich über der Fahrbahn, sodass Katrin sich fühlte, als führe sie durch einen engen Tunnel.
Plötzlich kamen ihr Zweifel. Wenn ihr Vater
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