Schattenfreundin
haben. Also musste es Überweisungen auf ein anderes Konto geben.
Katrin sah sich jeden einzelnen Kontoauszug an. Es gab nur wenige regelmäßige Überweisungen. Strom, Telefon, Miete der Praxisräume. Ganz normal.
Doch dann fand sie regelmäßige Überweisungen, die nicht dazu passten: Seit 1993 hatte ihr Vater jeden Monat tausend Mark, später dann tausend Euro an einen anonymen Empfänger überwiesen. Nirgendwo war ein Name verzeichnet, nur die Nummer 093 741 000 tauchte immer wieder auf.
Katrin legte den Ordner zur Seite und durchsuchte das Regal, das neben dem Schreibtisch stand. Schließlich fand sie einen Aktenordner mit der Aufschrift Kontoauszüge aktuell .
Schnell stellte sie fest, dass ihr Vater nur wenige Tage vor seinem Tod eine weitere Überweisung an 093 741 000 getätigt hatte. Das musste das zweite Konto sein, eine andere Möglichkeit gab es nicht.
»Oder 093 741 000 ist eine Person …«, sagte sie laut zu sich.
Aber wer könnte das sein? Tanja? Oder dieser Klaus? An wen hatte ihr Vater siebzehn Jahre lang so viel Geld gezahlt? Und warum? Insgesamt waren es immerhin über hundertsechzigtausend Euro!
Katrin begann zu schwitzen. Sie ahnte, dass diese Zahlungen etwas mit dem Tod ihres Vaters zu tun hatten. Sie erschrak. Und damit hatten sie auch etwas zu tun mit Leos Verschwinden! Sie musste die Kontoauszüge unbedingt Charlotte Schneidmann zeigen, so schnell wie möglich.
Sie stellte den Ordner zurück ins Regal und nahm noch einmal den Ordner mit den alten Kontoauszügen zur Hand. Sie blätterte vor und zurück. Irgendwo musste doch ein Hinweis zu finden sein!
Als sie ihn wieder zur Seite legte, rutschte er von der Schreibtischplatte und fiel auf den Boden. Seufzend bückte Katrin sich, um ihn aufzuheben. Was war das? Ihr Blick fiel auf etwas Weißes, das unter dem Deckel hervorschaute. Vorsichtig zog sie es heraus. Es war ein zusammengefaltetes Blatt Papier.
Mit klopfendem Herzen faltete sie es auseinander. Offenbar gehörte es zu einer Krankenakte.
Sie las, was darauf geschrieben stand, und schüttelte ungläubig den Kopf. Das musste ein Irrtum sein. Sie las es ein zweites Mal, bevor sie das Blatt sinken ließ.
»Mein Gott …«, sagte sie leise und schluckte.
Dann sprang sie auf und rannte aus dem Zimmer.
Leo! Jetzt wusste sie, wo er war.
Sie wollte so schnell wie möglich bei ihm sein.
»Frau Wiesner?«
Charlotte trat neben sie an das Grab von Franz Wiesner. Die Kränze und Gebinde hatten unter der Hitze gelitten. Viele Blüten waren schon verwelkt. Was für eine Verschwendung, dachte sie.
Luise Wiesner zuckte zusammen und sah sie an. Sie hatte Tränen in den Augen.
»Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken.«
»Was wollen Sie?« Ihre Stimme klang abweisend. Sie blickte wieder auf den Berg von Kränzen.
»Ich möchte von Ihnen wissen, wer Klaus ist und warum Ihre Tochter denkt, dass er bei einer Kleiderkammer beschäftigt ist, die es gar nicht gibt«, sagte Charlotte.
Luise Wiesner seufzte. »Immer diese alten Geschichten …«
»Welche alten Geschichten? Frau Wiesner, es geht um Ihr Enkelkind! Sie wollen doch auch, dass Leo gefunden wird, oder?«
»Natürlich will ich das!« Sie bückte sich und zupfte an einer Schleife. »Aber ich glaube nicht, dass diese alten Geschichten Ihnen weiterhelfen können«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wer dieser Klaus ist. Ich will es auch nicht wissen. Ich habe ihn nie gesehen. Vielleicht arbeitet er für diese Frauen … Sie wissen schon … die für Geld …« Sie sprach nicht weiter.
»Aber was hat das mit der Kleiderkammer zu tun?«
Frau Wiesner atmete tief durch. »Mein Mann hat die ausrangierte Kleidung meiner Tochter immer an einen gewissen Klaus weitergegeben, zumindest Teile davon. Das glaube ich jedenfalls. Wir haben nie darüber gesprochen«, sagte sie bitter. »Ich wollte nicht, dass unsere Tochter etwas davon erfährt. Deshalb habe ich ihr gesagt, dass die Sachen für die Kleiderkammer der Kirche bestimmt sind.«
»Und warum hat Ihr Mann sie dann auf dem Dachboden aufbewahrt?«
»Er hat wohl nur das weitergegeben, was gebraucht wurde. Vermutlich konnten diese Damen mit seriösen Bundfaltenhosen nichts anfangen.«
Frau Wiesner kniff die Lippen zusammen. Charlotte sah ihr an, wie schwer es ihr fiel, über diese Dinge zu sprechen.
»Was hat Ihr Mann nach Feierabend in der Praxis gemacht?«
Frau Wiesner zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich hat er irgendwelchen Damen geholfen«, sagte sie
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