Schattenfürst - Landers, K: Schattenfürst
mehr, was ich denken soll. Alles ist so entsetzlich. Und wenn nicht alle Geschöpfe der Finsternis so grausam sind? Hana, so heißt die Kleine, hat mir vorhin erzählt, dass ein schwarzer Wolf sie gerettet hat.“
„Niemals. Ich selbst sah, wie dieser in wilder Gier einen Rehbock riss. Bestimmt wollte das Untier das arme Ding fressen.“
„Und wenn es derselbe Wolf war, der auch mir begegnet ist?“
„Niemals. Ein Geschöpf der Finsternis hätte den Kampf aufgenommen.“
Karolina schwieg. Deutlich spürte sie die Veränderung in Adela, seitdem sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Auch sie war voller Eifer, wenn das Gespräch um das Töten von Vampiren ging. Angst und Hilflosigkeit ebneten den Weg zum Hass.
Karolina wälzte sich in ihrem Bett und fand keinen Schlaf. Die Ereignisse überschlugen sich, und sie fühlte sich erschöpft.
Sie stand auf und ging zum Fenster. Die Nacht war sternenklar. Der Vollmond ließ das Kopfsteinpflaster des Hofes glänzen und brachte die schneebedeckten Dächer zum Glitzern. Das alles erinnerte an Dominik. Er war so widersprüchlich in seinem Verhalten gewesen, voller Leidenschaft, und hatte sich dann zurückgezogen, ohne einen Grund zu nennen.
Im Hof nahm sie eine Bewegung wahr. Aus dem Schatten des Schuppens schälte sich ein Tier. Die blauen Augen des Wolfes leuchteten gespenstisch in der Schwärze der Nacht, als er zu ihr aufsah. Sie wusste, es war der Wolf, dem sie damals im Wald begegnet war und der unter ihrem Fenster gesessen hatte. Den schmerzvollen Blick, der sie tief berührte, würde sie nie vergessen. Er hatte das Mädchen gerettet, dessen war sie sich sicher.
Mit einem kurzen Jaulen verschwand er in der Dunkelheit.
26.
Wochen vergingen, in denen die kleine Hana gesundete und ihr Lachen zurück gewann. Zur Erleichterung aller war ihr die Verwandlung zur Vampirin erspart geblieben.
Ihr bisheriges Leben hatte das Mädchen in den Straßen Prags verbracht, unter Bettlern und zwielichtigen Gestalten, die ihr das Stehlen beibrachten. Jeder Tag war von Hunger und Gewalt geprägt, bis sie Jiri begegnete, der Gefallen an ihrer Jugend fand. Liebe und Zärtlichkeit waren Erfahrungen, die Hana bis dahin nicht gekannt hatte; das Mädchen glaubte, sie in der Beziehung zu dem Vampir zu finden. Jiri nutzte ihre Naivität aus, um sie zu verführen und sich von ihr zu nähren. Seinen Liebeskünsten verfallen, gestattete sie ihm dies. Nachdem sie erfuhr, nicht die Einzige zu sein, der er seine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hatte, beherrschte sie die Eifersucht. Dennoch besaß sie nicht die Kraft, sich von ihm zu lösen. Hanas Berichte bestätigten Carlottas Worte.
Karolina spürte, wie auch in ihr der Wunsch nach Rache stärker wurde, selbst wenn sie sich noch so dagegen wehrte. Adela und die anderen hatten recht. Niemand durfte einem Kind wie Hana etwas solch Grausames antun. Karolina erschrak über ihre eigenen Gedanken und die Gefühle, die immer mehr Carlottas glichen.
An einem milden Spätwinterabend saßen die Frauen vor dem warmen Kachelofen und aßen Topinky, belegt mit Knoblauch.
„Hilft, Vampire zu vertreiben“, erklärte Carlotta und verteilte die Knoblauchzehen auf das in Fett gebratene Brot.
„Wo steckt denn Malvina?“ Karolina hatte sie seit dem Morgen nicht mehr gesehen.
„Ein Schneidergeselle glaubt, dass ein paar von den Blutsaugern in den Gruften des Vyšehrader Friedhofs schlafen. Sie wollte es sich ansehen.“
„Carlotta, es ist schon dunkel. Und sie ist allein!“ Eliskas sorgenvolle Miene bedrückte auch die anderen.
„Hast du denn nie den Ort gesehen, an dem Jiri und seine Gefährten tagsüber ihren Totenschlaf halten?“ Forschend heftete sich Carlottas Blick auf das schmale Kindergesicht mit den roten Locken.
„Nein. Es ist ein Geheimnis.“
„Aber du musst doch etwas gesehen haben. Es ist wichtig.“
Carlotta wollte sich mit der mageren Antwort nicht zufriedengeben.
„Ich weiß es nicht.“ Hana zog einen weinerlichen Schmollmund.
„Wenn wir den Platz nicht kennen, an dem Jiri schläft, werden wir ihn nie vernichten können.“ Carlotta stöhnte auf und rieb sich die Schläfe, wie immer, wenn sie etwas besonders beschäftigte.
„Carlotta, Hana fürchtet sich. Du solltest sie nicht so forsch anfassen.“ Adela, die sich in den vergangenen Wochen schwesterlich um Hana bemüht hatte, verteidigte das Mädchen. Noch ehe Carlotta etwas erwidern konnte, stürmte Malvina mit hochroten Wangen herein, ein triumphierendes Lächeln
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