Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
als jemand nachdrücklich an die Tür klopfte. Noellene di Studier mit Laurel di Gautier an ihrer Seite traten ein. »Fürst Vladimer, entschuldigen Sie bitte. Ein Telegramm aus Minhorne.«
Er stürzte sich fast auf sie und riss ihr das Telegramm ohne ein Wort des Dankes aus der ausgestreckten Hand. Telmaine peilte die flüchtige Überraschung auf Noellenes Gesicht und die eher spekulative Aufmerksamkeit auf Laurels, während Vladimer mit beiden Händen das Telegramm aufriss. Er ließ sich in einen Sessel fallen und breitete es auf dem Schoß aus, um die Finger über den Text gleiten zu lassen. Sie alle hielten den Atem an.
Er hob den Kopf. »Die Lichtgeborenen haben meinem Bruder ein Ultimatum gestellt. Sie wollen, dass er ihnen die Stadt als Wiedergutmachung für den Angriff auf den Magierturm aushändigt. Sie haben alle Argumente bezüglich der Existenz von Schattengeborenen zurückgewiesen. Dieses Ultimatum wurde bei einer Zusammenkunft gestellt, und unmittelbar davor hat ein fünfzehn- oder sechzehnjähriger Junge den Erzherzog und sein Gefolge angegriffen und dabei unverhüllt schattengeborene Magie angewendet und behauptet, der Sohn von Lysander Hearne zu sein – Balthasar Hearnes Bruder.« An Telmaine gewandt fügte er hinzu: »Ich nehme an, dass es die Person ist, der Sie und ich auf dem Bahnhof begegnet sind. Nichts an den Lichtgeborenen deutete an, dass sie von dem Zwischenfall wussten. In der Begleitung des Schattengeborenen befand sich Dr. Balthasar Hearne.«
Telmaine hörte Laurel di Gautier »Oh« hauchen, aber Telmaine war zu schwindelig vor Erleichterung, um nach dem Grund zu fragen.
»Dr. Hearne ist es gelungen, den schattengeborenen Magier unschädlich zu machen«, Vladimer zog die Brauen hoch, als er weiterlas. »Mithilfe von Chloroform, aber erst, nachdem der Schattengeborene Phineas Broome außer Gefecht gesetzt und den Herzog von Mycene getötet hat.«
Wenn das Gerücht der Wahrheit entsprach, dass Sachevar Mycene Vladimer gezeugt hatte, so ließ sich das aus seinem Verhalten nicht schließen. »Chloroform«, bemerkte Vladimer anerkennend, »ist nicht so leicht entflammbar wie Äther. Hearne behauptete, von dem Schattengeborenen verhext worden zu sein, aber die Verhexung hatte offensichtlich ihre Grenzen. Er gab an, die Verhexung gestatte es ihm, im Tageslicht zu überleben. Er hat sich erboten, als lebender Beweis für die Tatsache, dass die schattengeborene Magie tatsächlich existiert, an den Hof der Lichtgeborenen zu gehen.«
»Nein«, flüsterte Telmaine. »Warum?«
»Mein Bruder hatte zwar beträchtliche Vorbehalte, ob Hearne tatsächlich aus freiem Willen handelt, aber er befand, er müsse das Risiko eingehen, in der Hoffnung, dass Hearne den notwendigen Beweis liefern würde, um die Lichtgeborenen zu überzeugen.« An Farquhar Broome gewandt fügte er hinzu: »Kann jemand derart verhext werden, dass er sich bei Tageslicht bewegen kann?«
»Wir können es nicht«, antwortete Farquhar. »Und meines Wissens nach die Lichtgeborenen auch nicht. Wie faszinierend.«
Nach Vladimers Miene zu urteilen, hätte er nicht gerade den Ausdruck »faszinierend« gewählt. An Telmaine gewandt sagte er: »Ihr Ehemann scheint die Überquerung des Sonnenaufgangs überlebt zu haben. Man hat durch die Wand einige Worte mit ihm wechseln können.«
»Ist denn sicher, dass er es ist?«, hakte Laurel nach.
Vladimer nickte. »Dr. Hearnes Schwester ist eine Magierin und hat sich für ihn verbürgt, ebenso wie zwei Mitglieder der Gemeinschaft, die im Palast arbeiten und keinen Kontakt mit den Schattengeborenen hatten, soviel man weiß. Alle haben bestätigt, er sei nachtgeboren, verhext und jener Mann, den man in der Vergangenheit unter dem Namen Dr. Hearne kannte. Ich nehme an, in diesen Zeiten kann man das als Bestätigung gelten lassen.
Hearne zufolge sind die Schattengeborenen in zwei Fraktionen gespalten, die von zwei sehr mächtigen, rivalisierenden Magiern angeführt werden. Eine Magierin heißt Emeya, den Namen des oder der anderen konnte Hearne nicht in Erfahrung bringen. Sie scheinen territoriale Interessen zu verfolgen, obwohl Hearne nicht sagen konnte, warum sie ausgerechnet jetzt zur Tat geschritten sind.« Er faltete das Telegramm wieder zusammen. »Der Bericht war vortrefflich kurz und prägnant. Ich schulde Casamir Blondell einmal mehr meinen Dank, er hat seinen Nachfolger gut ausgebildet. Aber dadurch wird unglücklicherweise deutlich, dass wir wohl nicht unmittelbar mit Verstärkung aus
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