Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
Blondells Tod erfahren hatte. Beinahe im Flüsterton sagte sie: »Seine Verhexung hat mehr bewirkt, als ihn nur ins Koma fallen zu lassen.«
»Wie das? Der Schattengeborene ist doch gestorben, und damit wurde auch jede Verhexung gebrochen.«
Sie wünschte, Phoebe Broome wäre eine Frau ihres eigenen Standes gewesen, dann hätte es Möglichkeiten gegeben, jenen das Unaussprechliche mitzuteilen, die die verschlüsselten Worte verstanden.
»Falls es einen Unterschied für Sie macht«, ergriff Vladimer schroff das Wort, »ich habe meinen Fehler eingesehen, als mir die Überreste meines getreuen Leutnants Casamir Blondell übergeben wurden. Er hat meine Entscheidung verurteilt – mich sogar des Hochverrats bezichtigt – und stellte seine eigenen Nachforschungen an. Er wurde gefangen und getötet, oder man hat ihn kampfunfähig gemacht und draußen liegen lassen, damit die Sonne den Rest erledigte. Aber zwischen dem Zeitpunkt, als ich ein Relikt von ihm erhielt«, ein Amulett, das Blondell als Schutz gegen Magie getragen hatte, »und dem Zeitpunkt, als ich handlungsunfähig gemacht wurde, lagen nur Minuten. Ich befand mich auf dem Rückweg, um meinen Bruder zu bitten, mir zuzuhören, als Magister Tammorn versuchte, Prinzessin Telmaine mit einem Bann zu belegen. Als ich Telmaines magischen Ausbruch verhindern wollte, habe ich die unbescholtene Prinzessin Sylvide erschossen. Ich wurde sofort überwältigt und unter dem Vorwand, verrückt geworden zu sein, mit Drogen benebelt.«
»Ich dachte … « Phoebe machte eine schwache Bewegung mit der Hand, die Geste so unbeendet wie ihr ursprünglicher Gedanke. »Ganz gleich, wie sehr man uns mied und uns von den Kanzeln aus denunzierte, ungeachtet der Entlassungen aus Arbeitsstellen, der Hinauswürfe aus unseren Familien, der Verbannung aus der Gesellschaft – ich dachte stets, es müsse eine Zeit kommen, in der uns unsere Tugend zugutekommt und wir beweisen würden, dass Magie nicht das ist, was die Kirche des Einzigen Gottes, die Vergangenheit und die Verunglimpfungen in den Zeitungen behaupten. Ich dachte, es würde eine Zeit kommen, da Sie – Sie alle – verstehen würden, dass wir nichts anderes wollten, als zu leben und unsere Arbeit so gut zu machen, wie wir können … « Ihre Stimme verlor sich.
»Magistra Broome, es tut mir aufrichtig leid.«
Sie schüttelte leicht den Kopf, vielleicht um die Entschuldigung abzulehnen, oder einfach nur, um klarer denken zu können. »Und Sie«, sagte sie zu Telmaine, »wussten Sie auch davon? Haben Sie ebenfalls geschwiegen?«
»Ich … «, erwiderte Telmaine schwach und erinnerte sich daran, als sie zugehört hatte, wie Mycene und Kalamay mit Balthasars Leben und dem Glück ihrer Schwester gespielt hatten. Phoebe würde niemals verstehen, was sie dazu gebracht hatte, Mycenes Gedanken zu erforschen. Mit leiser Stimme antwortete sie: »Ich dachte, Vladimer würde … «
»Vladimer«, unterbrach Phoebe sie energisch, »aber nicht Sie.«
Unter diesem Tonfall schrumpfte sie zusammen, und für einen Augenblick hasste sie Phoebe. Was wusste sie schon von den erdrückenden Einschränkungen der Gesellschaft, die eine Frau für das geringste eigenmächtige Handeln abstrafte – sie mit ihrem Vater, ihrem Bruder und ihrer Gemeinschaft? Aber in der schäbigen kleinen Pension, in die sie auf ihrer Flucht gekommen war, hatte Telmaine sowohl Verantwortung als auch Macht in die eigene Hand genommen, obwohl es sie ihre gesellschaftliche Stellung, ihre Tugend und ihr eigenes Ich gekostet hatte. Sie antwortete schlicht: »Ich wusste damals nicht, wie.«
»Verflucht sollen Sie sein, Sie beide«, sagte Phoebe und wandte sich ab.
»Warten Sie«, bat Vladimer sie rau. Phoebe blieb stehen, drehte sich jedoch nicht um. Er sprach nicht zu ihr, sondern zu ihrem Vater. »Magister Broome … « Er brach ab.
Farquhar Broome legte den Kopf schräg und musterte ihn. »Mein lieber Junge«, begann er sanft, »wir haben eine Tradition aufgebaut und uns das Vertrauen verdient, indem wir nur bei jenen Magie anwendeten, die es selbst wollten. Sie dagegen wollen es um keinen Preis. Und um das zu erkennen, brauche ich keine Magie.«
»Ich will es nicht«, erklärte Vladimer harsch. »Sie haben recht, es ist das Letzte, was ich will. Aber ich werde Magie an mir anwenden lassen. Wenn das nötig ist, um Sie dazu zu bringen, mit mir zusammenzuarbeiten, dann tun Sie es. «
Phoebe schnappte nach Luft. Auf ihrer Miene spiegelte sich eine Mischung aus Entrüstung und
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