Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
beschäftigen, wenn es so weit ist.«
»Aber warum sollte sie … ?«
»Wen beleidigt er gerade?«, unterbrach Jovance ihn, die mit einem Tablett den Raum betrat. »Sie oder mich?«
Sie musste Magie benutzt haben, um das Wasser so schnell zu erhitzen. Sie ließ sie ihre Tassen aussuchen und verteilte Tee aus der Gemeinschaftskanne. Orlanjis’ finstere Miene hellte sich auf, als er sich über die Hafermehlkuchen und den Käse hermachte. Hatte er sich selbst zum Vorkoster ernannt, oder war er nur ein ausgehungerter Jugendlicher? Als Fejelis das Wettrennen um die Ausbeute verlor, kam er zu dem Schluss, dass Letzteres richtig sein musste. Jovance nahm sich ein Stück und beobachtete das Gedränge um das Essen mit einem schwesterlichen Grinsen. Sie erhielt nie eine Antwort auf ihre Frage.
Fejelis hatte seine zweite Tasse des bitteren Nachtgeborenen-Tees zur Hälfte geleert und fragte sich, ob es wohl noch mehr Käse in den Vorratskammern gab, als sie hörten, wie die Tür auf der anderen Seite geöffnet wurde. Er legte den Hafermehlkuchen, den er in der Hand hielt, beiseite und wischte sich mit dem Ärmel in Ermangelung einer Serviette den Mund ab.
Jovance beugte sich vor und flüsterte ihm ins Ohr: »Es sind acht Personen. Drei Magiegeborene, zwei davon ziemlich mächtig.«
Eine Stimme von der anderen Seite der Wand fragte: »Eure Prächtigkeiten?« Ein drängendes Murmeln. »Magistra?«
»Ja«, bestätigte Fejelis. Er zwang sich, ruhig und ohne sein gewohnheitsmäßiges Zögern zu sprechen. »Ich bin Fejelis Grauer Strom, Prinz der Lichtgeborenen. Außerdem sind hier mein Bruder Orlanjis und Magistra Jovance.« Ihm wurde bewusst, dass er keine Ahnung hatte, wie sie sich bei solchen Anlässen vorstellte. Erdgeborene Lichtgeborene klammerten sich an ein modisches Minimum bei der Benutzung von Titeln, obwohl sie ohne deren Nennung genauso stolz und hierarchisch waren wie die Magier mit ihren Rängen oder die Nachtgeborenen mit ihrer Adelshierarchie. Hatte man es mit einer dieser Gruppen zu tun, leistete einem ein Titel, den man vor sich her schwenken konnte, gute Dienste. Allerdings war er sich nicht sicher, ob Jovance wollte, dass ihr Tempelrang genannt wurde.
»Ich bin Baron Reynard Strumheller«, erklärte der Nachtgeborene auf der anderen Seite der Wand in einem aggressiven, hellen Bariton, als fordere er Fejelis heraus, seinen Anspruch zu bestreiten. »Bei mir befinden sich Fürst Vladimer Plantageter, der Bruder des Erzherzogs«, bei diesem Namen verhärteten sich Jovances Züge, »Baronet Boris Stranhorne, Baronesse Laurel di Gautier, Prinzessin Telmaine – Frau Balthasar Hearne, ehemals Prinzessin Telmaine Stott.« Es hatte Fejelis Stunden des Studiums gekostet zu verstehen, dass zwar eine Frau durch eine Heirat einen Rang gewinnen oder verlieren konnte, aber kein Mann. »Des Weiteren sind hier Magister Farquhar Broome«, Fejelis sah, wie Jovance nickte, »und Magistra Phoebe Broome.«
Jovance flüsterte ihm etwas zu, aber er deutete warnend auf sein Ohr und die Wand. Dann zeigte er auf das Papier, die Stifte und die Tinte, die auf der Anrichte bereitlagen.
»Meine Begleiter und ich sind Ihnen zutiefst dankbar für die rechtzeitige Rettung und Ihre Gastfreundschaft, Baron Strumheller«, erwiderte Fejelis.
Jovance verteilte Stifte und Papier. Orlanjis beäugte seinen Stift mit skeptischer Miene. Unpassenderweise war er von nachtgeborener Machart, der Schaft sorgfältig geschnitzt, mit einer metallenen Spitze und einer versteckten Patrone, in der die Tinte gespeichert wurde. Als man Isidore das erste Mal eins dieser Schreibgeräte vorgelegt hatte, hatte der Prinz über die Frechheit der Nachtgeborenen gelacht, bis er keine Luft mehr bekam, auch um aus der Situation das Beste für die Lichtgeborenen zu machen.
Fejelis schraubte den Stift auf, klopfte damit auf das Papier, um die Tinte zum Fließen zu bringen, und kritzelte: Prinzessin T., Magierin dritten Ranges. Er hatte sie nicht bei ihrem Namen genannt, als er Jovance und ihren Kollegen erzählt hatte, warum Tam, Orlanjis und er selbst so plötzlich an den Eisenbahngleisen aufgetaucht waren, und er konnte sich nicht vorstellen, dass Jovance oder Orlanjis den Namen jetzt in Zusammenhang bringen und ihn erfassen würden. Trotzdem warf Jovance ihm einen forschenden Blick zu.
Vladimer Plantageter sagte: »Ich hatte den Magier – Magister Tammorn – bei Ihnen erwartet.«
Direkt zum Kern der heiklen Fragen, dachte Fejelis. »Ich auch«, antwortete er.
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