Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
Sechs?
»Baron Stranhornes Opfer hat das Vorrücken auf die Ländereien von Stranhorne aufgehalten. Unseren Informationen nach wurde einer der anwesenden Magier getötet. Ich frage Sie: Wenn sie tatsächlich so mächtig sind, warum benutzen sie dann so vertraute Taktiken wie Attentate und gesellschaftlichen Aufruhr – wohlgemerkt nichtmagische Methoden? Warum benutzen sie Menschen wie Ihre Mistress Weiße Hand oder unsere Herzöge von Mycene und Kalamay? Warum haben sie sich solche Mühe gegeben, uns gegeneinander aufzuhetzen, bevor sie uns offen begegneten?«
Alles gute Fragen, räumte Fejelis ein. »Sie vermuten, dass Sie ihre volle Macht bereits gesehen haben.«
»Ich vermute gar nichts. Aber wir haben keine andere Wahl, als zu kämpfen oder überrannt zu werden. Indem wir kämpfen, lindern wir vielleicht den Druck auf die Stadt, um die ich mir große Sorgen mache, und vielleicht verleiten wir Ihren Tempel, seinen Mut zu finden.«
»Sie sind nicht der Mann, der den Mut des Tempels beurteilen kann«, sagte Jovance, bis aufs Blut gereizt.
»Vielleicht habe ich kein Recht dazu, Magistra, aber andere haben es: Mein Bruder, der Erzherzog, der von nichts wusste, bis der Turm gefallen war, Baronet und Baronesse Stranhorne, die beide ihr Heim mit Waffen verteidigt haben, obwohl die Dame ein Kind erwartet und ihr Bruder noch keine achtzehn ist, Baron Strumheller sowie sein Bruder und Vorgänger, der einen großen Teil der Verteidigung aufgebaut hat, die wir jetzt mobilmachen, und der selbst ein Magier ist.«
Ein Magier, der sich mit den Schattengeborenen auskannte … »Lebt der frühere Baron Strumheller noch?« Als Lichtgeborener wäre das gewiss nicht der Fall, aber nachtgeborene Konventionen gestatteten es, Machthaber ihres Amtes zu entheben, auch wenn sie noch lebten.
»Das wissen wir nicht«, antwortete Vladimer. »Er ist während des Rückzugs verschollen, aber ich habe gelernt, sein mögliches Überleben nicht leichtfertig auszuschließen.«
Das klang, als seien seine Worte an jemand anderen gerichtet, wahrscheinlich an den Bruder von Ishmael Strumheller.
Wie sehr wollte er es riskieren, den einen oder anderen Nachtgeborenen vor den Kopf zu stoßen, indem er weiterfragte? Und wenn die Hohen Meister schon nicht auf ihre eigenen Leute hörten, warum dann ausgerechnet auf einen nachtgeborenen Wildschlag? »Ich werde Sie auf jede erdenkliche Weise unterstützen, die mir zur Verfügung steht«, sagte Fejelis und befand, es sei Zeit für eine kleine Provokation. »Hier sitzen wir, drei Lichtgeborene, im Wesentlichen allein in Ihrer Baronie. Warum nehmen Sie uns nicht einfach als Geiseln?«
»Ich habe darüber nachgedacht«, erwiderte der nachtgeborene Meisterspion ungerührt. Diesmal klang es so, als ob das Gemurmel von Baron Strumheller käme. Fejelis glaubte, das Wort »Gastfreundschaft« in empörtem Ton zu hören. »Aber wer würde Lösegeld für einen Prinzen bezahlen, den man beseitigen wollte, vor allem in der Währung, die ich brauche? Und die Magierin in Ihrer Gesellschaft würde mehr Ärger machen, als Sie es wert sind.«
Ein Punkt für Vladimer. Jovance fletschte lächelnd ihre Zähne, und unter Orlanjis Augen, die auf die dekorierte Papierwand gerichtet waren, zeichneten sich blasse Ringe ab. Fejelis skizzierte schnell zwei Stockschwertkämpfer, wobei der mit der Kappe die Arme ausbreitete, als habe ihn die Klinge des anderen aufgespießt. Vermutlich wäre er als Maler auf der Straße verhungert, aber die Skizze löste die Anspannung an dem Glastisch, während sie die Nachtgeborenen für eine Weile schweigend lauschen ließen.
»Wir werden sehen, wer von uns recht hat, was meine Bedeutung angeht«, murmelte er, wohl wissend, dass die Nachtgeborenen es hörten. Dann hob er seine Stimme. »Ich werde gleich morgen früh nach Minhorne aufbrechen, Fürst Vladimer.« Und wenn er auch nur einen Funken Verstand besessen hätte, hätte er Jovance vorher gefragt, ob sie ihn hinbrächte. Im Geist zeichnete er ein Bild von sich, wie er auf einem Heuwagen triumphal in die Stadt einfuhr, aber das überstieg seine zeichnerischen Fähigkeiten. Er bezähmte seine ausufernden Gedanken. »Es ist meine Aufgabe, mich um die Hohen Meister zu kümmern, aber ich würde jede zusätzliche Information zu schätzen wissen, die Sie über die Ereignisse des vergangenen Tages und der Nacht haben.«
Ishmael
Lysander Hearne wartete in der Halle und lümmelte sich an der Wand, als habe er dort müßige Stunden verbracht. Er
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