Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
Qualität war, aber dem der Geruch von allzu häufigem Waschen anhaftete. Sie nickte trotzdem dankbar und tupfte sich das Gesicht ab. »Ich hatte einen schlimmen Albtraum«, flüsterte sie. Die Männer murmelten einige verständnisvolle Worte, obwohl sie ahnte, dass sie nicht verstanden.
»Wir sind gleich da«, sagte der Mann, der ihr sein Taschentuch gespendet hatte. »Die Sonne ist bereits aufgegangen.«
Nachdem Ishmael sie beschenkt und versucht hatte, ihr durch die Berührung ihres Geistes seine magischen Fähigkeiten zu übermitteln, hatte sie seine Träume geträumt, war durch die Schattenlande gelaufen und hatte Schlachten aus seinen Erinnerungen ausgefochten. Aber selbst als im Gefängnis sein Leben in Gefahr gewesen war, hatten seine Träume niemals sie oder ihn selbst bedroht, und waren auch nie derart verzweifelt gewesen.
Oder hatten so vor Magie gelodert. Wenn sie eines verstand, dann dass er Hilfe brauchte.
Aber sie konnte die Männer hier nicht in Gefahr bringen, indem sie in einem derart beengten Raum, der nur durch die Seitenwand eines Zuges vom Tageslicht getrennt war, Magie benutzte, auch wenn sie sich sicher war, dass Vladimers Schuss diesmal sein Ziel nicht verfehlen würde. Zudem verspürte sie keinen besonderen Wunsch zu sterben. Sie verschränkte ihre behandschuhten Hände ineinander und ertrug die letzten, unendlichen Minuten, als der Zug vor dem Bahnknoten Stranhornes stillstand, um die lichtgeborenen Wachen absteigen zu lassen. Sie lauschte auf den gerufenen Wortwechsel zwischen den Lichtgeborenen draußen und den Nachtgeborenen drinnen. Die alltägliche Unbefangenheit des Ganzen hätte Balthasar ermutigt.
Im Gegensatz zu Strumheller verfügte der Bahnknoten Stranhorne über einen geschlossenen Bahnsteig mit Türen, die sich aus sicherem Abstand bedienen ließen. Ausgerechnet Vladimer hielt inne, um ihr beim Aussteigen zu helfen – aber nur um sich dicht zu ihr vorzubeugen und zu fragen: »Was spüren Sie?«
Was sie spürte, war … überwältigend. Menschen – Nachtgeborene – drängten sich dicht auf und unter dem Bahnsteig, außerhalb des Bahnhofs und auf der anderen Seite der Gleise. Tausende von ihnen befanden sich in nächster Nähe und waren verletzt, in Trauer, grimmig, entschlossen, verängstigt und verständnislos. Sie taumelte, und er musste sie stützen. »Schattengeborene?«, zischte er.
» Nein, das ist es nicht.« In dem ganzen schockierenden Miasma von nachtgeborenen Empfindungen und ihrem Leid war kein schattengeborener Makel zu spüren. »Nur Nachtgeborene. Es sind so viele.«
»Gut, kommen Sie mit mir. Und sagen Sie Broomes Leuten, dass sie uns folgen sollen.«
Sie tat es zaghaft, wohl wissend, dass Phoebe Broome weder ihre Anwesenheit noch ihre Benutzung von Magie auch nur ansatzweise gutheißen würde, aber sie erhielt keinen Tadel. Vladimer ging selbstbewusst über die verzogenen, knarrenden Bretter des Bahnsteigs auf etwas zu, das sich als eine Treppe aus bröckelnden Steinen entpuppte, die mit Metall verkleidet worden waren. Er war schon einmal hier gewesen. Über seine Schulter sagte er: »Dies war eine der ersten Siedlungen, die nach der Trennung wieder errichtet wurde. Hier gibt es viele unterirdische Lagerhäuser und Keller, die ursprünglich als Lager und zum Schutz gegen Plünderungen benutzt wurden, unmittelbar nach der Trennung dienten sie jedoch den Nachtgeborenen als Zuflucht.«
Telmaine erinnerte sich an seine Führung durch den erzherzoglichen Palast in Minhorne, als sie zusammen zu Floria Weiße Hand gegangen waren, um sie zu befragen. Sie wollte nicht undankbar sein, aber sie hoffte, dass dies nicht genauso werden würde, Vladimers Vorlieben für Anekdoten neigten zum Makaberen. »Hat Ishmael Ihnen davon erzählt?«
»Nein, Maxim di Gautier, während er über die Privatbibliotheken des Palastes herfiel … Nach der Trennung haben die Stranhornes die Tunnel zwischen den Räumen ausgedehnt und weitere eröffnet. Das Tunnelsystem ist ziemlich weitläufig. Falls Stranhorne den Rückzug antreten muss, gäbe es keinen besseren Ort dafür.«
Telmaine dachte an die Brände der Schattengeborenen und erwiderte nichts darauf. Sie konnte spüren, wie die Magier eilig hinter ihnen herkamen. »Wohin gehen wir?«
»Dorthin, wo wir vermutlich den Zuständigen finden werden.«
Bretter und Läufer markierten die Passage durch den überfüllten, unterirdischen Raum unter dem Bahnsteig. Bretter und Steinblöcke waren zu groben Raumteilern und Möbeln
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