Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
zusammengestellt worden und erlaubten es Erwachsenen, sich hinzusetzen, und den Kranken und Müden, sich niederzulegen, während Kinder zwischen den Gruppen umherwuselten und das Fangspiel »Soldat und Schattengeborene« spielten. Der freie Durchgang übte natürlich eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf sie aus. Drei Bengel rannten den Durchgang entlang und hätten ohne Farquhar Broomes Eingreifen Vladimer und Telmaine gerammt. Als ob ihnen die Luft ausgegangen wäre, taumelten sie gegen einige Karten spielende Männer, die sich mit Gebrüll aufrichteten und ihnen Ohrfeigen versetzten. In verspäteter Hektik eilten Schwestern und Mütter den Kindern zu Hilfe. Ungeniert ließ Vladimer zu, wie ein Streit zwischen den Parteien entbrannte, und führte sie durch einen Tunnel unter den Eisenbahngleisen.
Vielleicht muss ich mir um Brände keine Sorgen machen, dachte Telmaine, als sie die Feuchtigkeit roch.
Sie kamen in einer runden Bahnhofshalle wieder zutage, die aussah wie eine Miniaturausgabe des Bolingbroke-Bahnhofs in Minhorne. Doch während der im letzten Jahrhundert erbaut worden war, musste dieser, nach den rauen Steinen und dicken Mauern zu urteilen, viel früher entstanden sein. Die meisten Verkaufsstände entlang des äußeren und inneren Rings der Bahnhofshalle waren verschlossen und verbrettert gegen das Gedränge von Flüchtlingen, aber bei einigen waren die Bretter herausgehauen und sogar die Kassen gestohlen worden.
»Mein lieber Junge«, hörte sie Farquhar Broome von hinten sagen, »wohin gehen wir?«
Vladimer streckte die Hand aus. »Nach oben.« Über ihr konnte Telmaines Sonar den Rand einer Galerie und das harte Echo von eisernen Geländern ausmachen.
Sie drängelten sich mit einiger Mühe am Rand der Eingrenzung entlang, da nicht alle den Durchgang frei hielten. Im Gegensatz zu Vladimer, der seine erklärte Absicht in die Tat umsetzte, jeden in den Militärdienst zu pressen, den er auf seinem Weg liegend vorfand, und dabei keine Ausreden gelten ließ. Nach den ersten drei Männern lief eine Welle der Warnung an der Eingrenzung entlang, und alle, die dort nichts zu suchen hatten, huschten davon.
Auf der Galerie fanden sie die Verteidiger vor, von denen einige bereits schliefen. Sie lagen ausgestreckt mit den Waffen in Reichweite auf Matten, Taschen und Bündeln. Jene, die wach waren, reinigten und reparierten ihre Waffen und Rüstungen, spielten Karten, unterhielten sich, teilten Rationen, Flaschen und Pfeifen ein, und machten es sich auch ansonsten bequem. Nach der unterirdischen Zuflucht und der Bahnhofshalle kam ihnen der Pfeifenrauch wohlduftend vor. Als sie die nächste Treppenflucht zu dem Stockwerk hinaufgingen, das sich direkt unter der Kuppel befand, blieben die Offiziere zurück, um Plätze für ihre eigenen Männer zu arrangieren.
Unter der Kuppeldecke fanden sie fünfzehn oder zwanzig Männer um einen runden Tisch versammelt, auf dem jemand etwas aus nassem Sand modelliert hatte. Telmaine nahm an, dass es ein Relief der Umgebung von Stranhorne war, die mit edlen Spielsteinen und grob geschnitzten Holzdübeln markiert war.
Fürst – nein, Herzog – Ferdenzil Mycene stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch. Er war klein genug, um es eher nach einer lässigen als nach einer erschöpften Pose aussehen zu lassen. Er wirkte ausgelaugt, was sie nie für möglich gehalten hätte. Die hochgewachsene junge Frau neben ihm war Baronesse Laurels Zwillingsschwester. Sie lehnte gegen den Tisch und stritt mit ihm. Ihre Stimme klang nach zu großer Beanspruchung heiser. Beide drehten sich um und peilten die Neuankömmlinge sichtlich erheitert, obwohl Mycenes Ausdruck der Erleichterung schnell einen säuerlichen Anstrich erhielt.
»Mycene«, begrüßte Vladimer den Herzog. »Baronesse Stranhorne.«
»Vladimer Plantageter«, sagte Mycene. »Welch Überraschung.«
»In der Tat. Auf ein Wort, Mycene, wenn ich bitten darf.« Er nahm den Mann zur Seite.
Für einen Moment verspürte Telmaine Mitleid mit Mycene. Ihre Wahl wäre nicht auf Vladimer gefallen, um einem Mann die Nachricht vom Tod seines Vaters zu überbringen. Erst recht nicht, wenn sie die Gerüchte über die Frage, wer Vladimers Vater sein mochte, und die Feindlichkeit zwischen ihm und Mycene bedachte. Ihr Sonar fing Mycenes Bewegung auf, als er den Kopf in eine behandschuhte Hand sinken ließ und sich abwandte. Da er einst ihr Verehrer gewesen war, den ihre Familie von Herzen billigte, hatte sie seine Gedanken durch eine
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