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Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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schmale Fensternische zu. Hastig streckte sie die Füße vor, krallte sich im Mauergestein der Nische fest und faltete die Flügel zusammen, als sie landete. Dennoch streiften ihre Schwingen gegen die Steine und hätte sie sich nicht rasch vornübergelehnt, dann wäre sie rücklings aus der Nische in den Hof getrudelt.
    Schwer atmend blieb sie hocken, zuckte mit den schmerzenden Flügeln und spürte, dass sich die Federn in ihrem Nacken vor Aufregung gesträubt hatten. Die Maueröffnung war sogar für eine kleine Räbin eng bemessen, vorsichtig trippelte sie in die Nische hinein und lugte nach drinnen.
    Der hohe, kreisrunde Turmraum wurde von drei Laternen erhellt, die zwischen den Wächtern auf dem Boden standen. Besonders gut war das Licht nicht, aber die Räbin konnte erkennen, dass zwei der Wächter sich schlafen gelegt hatten, denn sie lagen zusammengekauert auf der Seite, und man vernahm ihren schnaufenden Schlafatem. Der dritte saß im Schneidersitz neben dem viereckigen, vergitterten Loch und kaute an einem Stück Gerstenbrot, dessen Rest er noch in der Hand hielt. Er war sehr dünn, seine Beine erschienen wie geknickte Ästchen, auch kaute er gierig und stopfte sich dann den Brotrest hastig in den Mund, als fürchte er, man könne ihm den Bissen aus der Hand reißen. Die Räbin Alina legte den Kopf schief und versuchte, das Gitter der Kerkeröffnung besser zu erkennen. Man hatte es lächerlicherweise mit einem Schloss gesichert, wahrscheinlich traute Nemed dem Rabenkrieger einiges zu. Dann erst erkannte sie, dass quer über dem Gitter die Schwerter der drei Wächter lagen, die Griffe den Männern zugewendet, so dass sie rasch zufassen konnten. Sie begriff, dass auch Nemed fürchtete, der Mann dort unten im Kerker könne sich verwandeln, und als Rabe durch das Gitter schlüpfen. Jetzt war ihr auch die Hast erklärlich, mit der der Wächter sein Brot in sich hineinstopfte – er war angewiesen, den Rabenkrieger sogleich in Stücke zu hauen, falls er sich zwischen den Gitterstäben blicken ließ.
    Vermutlich würde er auch mit einer Räbin kurzen Prozess machen, die auf das Gitter hinunterflatterte, um in den Kerker zu gelangen. Ihre Hoffnung sank, möglicherweise war sie unsterblich, denn sie war ein Feenkind, aber unverletzlich war sie deshalb gewiss nicht. Grübelnd starrte sie von ihrem hohen Sitz hinunter, sann auf eine List, um den Burschen dort unten abzulenken – da kam ihr der Zufall zu Hilfe. Der Wächter hatte den letzten Brotbissen gar zu eilig hinuntergeschlungen, er würgte, begann zu husten und sah sich nach dem Wasserkrug um, der neben einem seiner Genossen stand. Rasch warf er noch einen scheuen Blick auf das Gitter, dann stand er auf, griff den Krug beim Henkel und trank mit großen Schlucken. Schloss er die Augen dabei? Die Räbin konnte es nicht sehen, doch sie nutzte den Augenblick und schwebte lautlos auf das Gitter hinab. Kopfüber zwängte sie sich durch einen der viereckigen Zwischenräume, quetschte sich die Flügel, strampelte mit den Füßen, dann spürte sie, dass sie in die dunkle, feuchte Tiefe fiel, und ihr Rabeninstinkt ließ sie die Schwingen ausbreiten.
    Als Kind hatte sie oft in den Kerkerraum hinabgespäht. Er hatte die Form einer Glocke, war im oberen Bereich eng und erweiterte sich nach unten, die kreisrunde Bodenfläche bestand aus Felsgestein, Geröll lag dort herum, manchmal blinkten dort auch Wasserlachen. Jetzt sah sie nichts als schwarze Finsternis, ihre Flügel streiften modriges Gestein, von glitschigem Schimmel überzogen, kreisend bewegte sie sich abwärts, doch die Räbin spürte die Wärme und den Geruch eines lebendigen Wesens. Sie berührte weiches Haar, ihre Füße fanden Halt, krallten sich in einen Stoff, und da sie unsicher bei der Landung war, drangen ihre Krallen tiefer ein, als sie es vorgehabt hatte.
    »Au!«, flüsterte es. »Du dumme Räbin! Leichtsinnige Fee! Was hast du gewagt!«
    »Gerade du musst von Leichtsinn sprechen!«
    Sie saß auf seiner Schulter und spürte seinen warmen Atem. Er rieb seine Wange an ihrem Federkleid, es war wie eine zärtliche Begrüßung.
    »Du hast das Kleid den Zwergen gestohlen, listige Person. Davongeflogen bist du mir. Hast du geglaubt, ich könnte von dir lassen?«
    Sie schmiegte sich an ihn und fühlte, dass seine Wange feucht war. Weinte er etwa? Konnte ein Rabenkrieger Tränen vergießen?
    »Ich habe es erhandelt und nicht gestohlen. Und jetzt bringe ich es dir, damit du aus diesem Kerker fliehen kannst.«
    Er

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