Schattengefährte
schwieg, hielt die Wange gegen ihren gefiederten Körper gelehnt, und sie spürte den raschen Pulsschlag seiner Schläfe. Erst nach einer kleinen Weile hörte sie seine leise Stimme.
»Woher weißt du, dass ich kein Federkleid mehr besitze?«
»Ich bin nicht so dumm, wie du glaubst. Du hast weder Wehr noch Waffen noch Federkleid, das alles nahm dir die Morrigan. Sie nahm dir auch die Unsterblichkeit – habe ich Recht?«
Es dauerte wieder etwas, bevor er ihr antwortete. Das Geständnis schien ihm nicht leichtzufallen, denn er sprach es kaum hörbar aus.
»Du hast Recht.«
Ich werde dir helfen, die Wächter zu überlisten«, fuhr sie eifrig fort. »Sie warten oben mit gezückten Schwertern, doch sie sind dumme Burschen und leicht zu übertölpeln. Hilf mir aus dieser Verwandlung, damit du selbst das Kleid anlegen kannst.«
»Und wenn ich als Rabe davonflöge– was würde aus dir?«
»Um mich mach dir keine Sorgen – Nemed wird mir nichts tun. Er braucht mich, denn als mein Ehemann ist er Herr des Hügellandes und nicht mehr von seiner Schwester abhängig.«
Er atmete tief und drehte den Kopf so rasch zur Seite, dass sie fast den Halt verlor. Ruckartig hob er die Schultern an, und hätte sie sich nicht in seinem Gewand festgekrallt, wäre sie herabgepurzelt.
»So also hast du es dir gedacht, du schlaue Räbin!« zischte er. »Großmütig willst du mir dein Rabenkleid geben, damit ich davonfliege und du Nemeds Ehefrau werden kannst!«
»Habe ich das gesagt, du Dummkopf?«
»Genauso hörte es sich an! Flieg wieder fort! Ich brauche dein Federkleid nicht. Ich bin kein Feigling, der sich heimlich davonstielt!«
»Psst! Mach nicht solchen Lärm! Sie können dich ja hören!«, warnte sie erschrocken.
»Hör mir zu, du wetterwendische Räbin!«
Trotz der Dunkelheit sah sie jetzt seine Augen aufblitzen – wie zornig er war.
»Eine Fee hat mich behext, so dass ich alles, was ich früher war, für sie aufgab und meine Herrin verriet. Ohne Waffen und Wehr kam ich zu dir, sterblich wie ein Mensch und nur von einem Gedanken besessen: dich zu gewinnen. Doch nun sehe ich, dass ich ein Tor war, denn meine zärtliche Fee hat sich längst einen besseren Ehemann erkoren.«
»Es reicht!«, fauchte die Räbin. »Wenn du nicht gleich aufhörst, wirst du meinen Schnabel in deiner Wange spüren! Hilf mir jetzt endlich aus diesem Rabenkleid heraus!«
»Ich warne dich! Wenn es mir gelingt, diesen Kerker zu verlassen, werde ich nicht davonfliegen, wie du es erhoffst. Ich werde kämpfen, um Herr dieser Burg zu werden!«
»Wenn du das tust, dann werde ich an deiner Seite sein, Fandur.«
Er schwieg verblüfft, denn er hatte zornigen Widerspruch erwartet, stattdessen aber sprach sie ruhig und in großem Ernst.
»Ich liebe dich, Fandur«, sagte die Räbin. » Wo du bist, da will auch ich sein, und wenn du sterben musst, dann möchte auch ich nicht mehr am Leben bleiben. Erlöse mich aus dieser Verwandlung, ich bitte dich.«
»Alina«, flüsterte er, und seine Stimme zitterte. »Alina … Alina … Alina …«
Ein heftiger Schmerz durchfuhr ihren Körper, der Schwindel packte sie so fest, dass sie glaubte, das Bewusstsein zu verlieren, doch zugleich wurde ihr Blick hell, und sie sah die Mauersteine des Kerkers um sich kreisen. Federn schwebten umher, der felsige Grund schien ihr entgegenzukommen, schmerzhaft bohrte sich ein Stein in ihr Knie, denn sie war in sich zusammengesunken. Ihre Hände griffen in den harten Boden, das lange Haar fiel vor ihr Gesicht, sie spürte ihr Feengewand am Körper, sah einer ihrer ledernen Schuhe, darin steckte ihr Fuß.
»Blödes Buch«, murmelte sie. »Der eigene Name – ganz gleich ob Krieger, Fee oder Zwerg – vollzieht die Wandlung. Und ich fürchtete schon, mich als Mann wiederzufinden!«
»Du weißt also doch nicht alles, meine kluge Fee.«
Sie hob den Blick und sah ihn vor sich stehen. Sein Gewand war zerfetzt, die bronzefarbige Haut mit Schrammen und Wunden bedeckt, auch das schwarze Haar war zerrauft. Doch er lächelte sie an, und seine samtschwarzen Augen waren voller Liebe. Langsam stand sie auf, noch ängstlich, dass sich im letzten Augenblick etwas zwischen sie stellen und die ersehnte Nähe zerstören könnte. Zaghaft berührte sie seine Hüften, seine Brust, seine Schultern, dann umschlang sie ihn und spürte seine Lippen auf ihrer Stirn. Er küsste sie sacht und zärtlich, doch sie fühlte, welchen Aufruhr ihre Nähe in seinem Körper anrichtete, denn sein Atem ging rasch,
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