Schattengefährte
half nichts, sie würde sich in die Höhle hineinwagen müssen, denn dort war ihr die steinerne Frau erschienen. Das Laub raschelte unter ihren Füßen, sie stieß sich die Zehen an einem scharfkantigen Stein und schimpfte leise vor sich hin. Wo war doch die Felsnase gewesen, die ihr die Form der hässlichen Alten gezeigt hatte? Unschlüssig sah sie sich um, doch sie konnte sich nicht erinnern, die zahlreichen Felsvorsprünge sahen alle gleich aus.
»Ich bin Alina – erinnerst du dich?«, versuchte sie es von neuem. »Du hast mir geholfen, mich von einer Räbin in eine Fee zurückzuverwandeln. Das war sehr freundlich von dir.«
Vielleicht half es ja, wenn man der steinernen Krähe ein wenig Honig ums Maul schmierte.
»Ich bin dir sehr dankbar. Bitte verzeih, wenn ich dich noch einmal besuche, aber ich bin in Not und brauche deine Hilfe.«
Sie lauschte angestrengt. Das unterirdische Gewässer tropfte und plätscherte, kaum wahrnehmbare, helle Pfiffe der Fledermäuse durchschnitten die Dämmerung, irgendwo rollte ein Steinchen.
»Ich kenne deine Not, Königstochter! Sie ist dumm und schädlich – du hast nichts dazugelernt!«
Alina fuhr zusammen und versuchte, die Richtung auszumachen, aus der die Stimme kam, doch es war unmöglich. Dieses zischende Flüstern schien sich von der Decke der Höhle auf sie herabzusenken.
»Was weißt du schon davon?«, entfuhr es Alina zornig.
»Mehr als du ahnst!«
Das war leider sehr wahrscheinlich. Diese unangenehme Person wusste eine ganze Menge, woher auch immer.
»Ich brauche deine Hilfe«, wiederholte sie starrsinnig. »Für eine Angelegenheit, die mir wichtiger ist, als alles auf der Welt. Wichtiger sogar als mein eigenes Leben!«
Sie schaute sich fast die Augen aus, aber nirgendwo erschienen Linien im Fels, keine Formen zeichneten sich ab, keine Gestalt wurde sichtbar. Hing die verdammte Hexe vielleicht gar an der Höhlendecke wie eine Fledermaus?
»Keine Liebe ist das wert, Alina!«
Wie kalt dieser Satz klang. Alina erzitterte, als wäre ein Schneeschauer auf sie herniedergegangen, gleich darauf aber schoss die rote Flamme des Zornes in ihr auf.
»Du irrst dich! Meine Liebe ist es wert, dass ich um sie kämpfe.«
»Hast du nicht genug im dunklen Zwergenpalast gelitten? Hat er dich nicht betrogen, dir die Wahrheit verschwiegen, dein schöner Rabenkrieger? Bist du nicht mit knapper Not dem Unglück entronnen?«
Wie ein Eisregen prasselten die Sätze auf Alina herunter. Sie drangen schmerzhaft wie Nadelspitzen in sie ein, denn sie waren wahr, alles dies hatte sie erfahren. Und doch gab es auch die andere Seite. Die Wärme, das Glück, Fandurs Liebesgeständnis und sein Opfer.
»Das alles schreckt mich nicht ab, Hexe. Es wird dir nicht gelingen, mir meine Liebe auszureden.«
An der Höhlendecke knackte und knisterte es, als sei dort ein Fels gesprungen, doch es war nur das Gelächter der Alten. Es klang wie rieselndes Gestein, kühl und bedrohlich zugleich, denn es breitete sich in der ganzen Höhle aus, kleine Steinchen regneten in das trockene Laub am Boden, Sandkörnchen rauschten herab und fielen in ihr Haar.
»Er ist nicht der erste Rabenkrieger, der einer Fee verfällt«, sagte die Hexe mit steinharter Stimme. »Hast du nicht die Kleider gesehen, die die Zwerge aufbewahren? Schon etliche der schwarzen Gesellen haben ihren Ungehorsam büßen müssen, der Tod war ihr Lohn, denn sie verloren ihre Unsterblichkeit. Dein schöner Fandur aber wird ein anderes Schicksal haben.«
Alina schwieg. Sagte sie die Wahrheit, oder log sie ihr etwas vor? Es steckte doch ganz sicher eine Hinterlist in diesen Worten.
»Was weißt du von ihm?«, flüsterte sie.
Die Stimme der Hexe wurde jetzt sanfter, auch schien sie sich zu nähern, von oben auf sie herabzuschweben, um sich wie eine Glocke über sie zu legen.
»Viel«, sagte die Stimme eindringlich. »Ich weiß, dass die Morrigan diesen Rabenkrieger ganz besonders liebt. Jetzt, da er wieder in ihrer Gewalt ist, wird sie ihn vor die Wahl stellen, ihr auf ewig zu dienen oder auf ewig zu leiden. Wofür, glaubst du, wird sich Fandur entscheiden?«
Alina hielt sich die Ohren zu, um dem Einfluss dieser perfiden Stimme zu entkommen, doch der letzte Satz klang in ihren Ohren wie ein Echo nach. Wofür, glaubst du, wird sich Fandur entscheiden?
»Er wird sich für unsere Liebe entscheiden!«, rief sie laut und zornig aus.
»Für ewiges Leid?«
»Er wird nicht ewig leiden, denn ich werde ihn finden und ihn erlösen!«
»Dazu
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