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Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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Neigung, in ihren heimatlichen Stall zurückzukehren. Stattdessen trabte sie gen Osten, als wolle sie dem neuen Tag entgegenlaufen, wich von den eingefahrenen Wegen ab, die sich gemächlich zwischen den Hügeltälern dahinschlängelten, und suchte Abkürzungen, durchquerte kleine Wäldchen, ritt hügelan und hügelab und schien keine Erschöpfung zu kennen.
    »Niam, meine schöne Niam«, flüsterte Alina und beugte sich im Sattel vor, um die Ohren der Stute zu berühren. »Wohin willst du mich tragen?«
    Auch wenn sie sicher war, dass die Stute sie verstehen konnte – es war wohl zu viel verlangt, eine Antwort zu erwarten. Niam schüttelte die Mähne, als wolle sie ihrer Herrin bedeuten, sie nicht zu stören, und strebte weiter voran. Die Nacht schwand dahin, die silberne Mondschale sank in den Horizont, und gleich darauf erschien vor ihnen im Osten der erste graue Schein, ein fahler Streifen nur, von dunklem Gewölk durchzogen. Im Licht der ersten Morgendämmerung erblickte Alina den gläsernen Fluss, ein glanzloses graues Band, dunkel und hell gefleckt wie eine Schlange, denn graue Eisschollen mit weißen Schneehauben hatten sich auf seiner glatten Oberfläche angesammelt.
    Die Göttin ließ sich nicht anlocken. Die Morrigan würde sie dort erwarten, wo sie sich schon einmal getroffen hatten. In grauer Düsternis und ewigem Eis.
    Alina zog den Mantel enger um sich, darüber hängte sie Feenbogen und Köcher, die sie lieber am Körper tragen wollte, denn sie fürchtete, die kostbaren Waffen im Schneesturm zu verlieren. Behutsam setzte ihre Stute die Hufe in den verharschten Schnee des Flussufers, es knirschte und knackte, und sie brach bei jedem Schritt tief ein. Alina stieg aus dem Sattel, um das Tier von ihrem Gewicht zu befreien. Langsam ging sie ihrem Reittier voraus, sie war leicht genug, um im Harsch nicht einzusinken. Grau lag der Fluss vor ihr, viel breiter, als er in der Ferne erschienen war, und sie bedauerte, keine Flügel zu haben, die sie über die weite, glatte Eisfläche hätten hinwegtragen können. Wie einfach war es für die Räbin gewesen, dieses Hindernis zu überwinden, nun war sie auf ihre Füße angewiesen, und sie konnte nur hoffen, dass ihre ledernen Schuhe nicht am Eis festfrieren würden.
    Hat Fandur nicht die Schneeberge und auch diesen Fluss durchschritten, um zu mir ins Hügelland zu gelangen, dachte sie. Waffenlos und ohne das Federkleid des Raben hat er es gewagt – also werde auch ich es schaffen.
    Der gefrorene Fluss war voller Tücken. An manchen Stellen war seine Decke rau, als sei Graupelschnee daraufgefallen und festgefroren, dann wieder war seine Oberfläche glatt, so dass Alina auf den ledernen Sohlen schlitterte, und Niam schnaubend und breitbeinig voranrutschte. Eisschollen erhoben sich aus der flachen Decke, aus der Ferne hatten sie klein wie Kiesel ausgesehen, jetzt türmten sie sich auf wie grauer Fels und zwangen zu Umwegen. In der Mitte des Flusses erhob sich ein schneidend kalter Wind, der ihnen eisige Schneeflöckchen entgegenblies, wie kleine Nadeln stachen sie in die Haut, zwangen sie, die Augen zu schließen. Da vernahm Alina durch das Sausen des Windes hindurch noch ein anderes Geräusch, das aus der Tiefe zu ihr drang, ein dumpfes Schlagen und Glucksen, als wenn unter der Eisdecke ein zorniges Gewässer gegen die harte Schicht ankämpfte und mit Macht versuchte, das gläserne Gefängnis aufzubrechen.
    Als sie endlich das Ufer erreichten und über den hart gefrorenen Schnee stapften, waren Alinas Hände und Füße ohne Gefühl und ihr Körper steif vor Kälte. Eine ungeheure Müdigkeit überkam sie, und sie wäre gern in den Schnee gesunken, um hier, auf einigermaßen sicherem Grund auszuruhen. Auch Niam blieb stehen und senkte den Kopf in den Schnee, als wolle sie unter der weißen, kalten Schicht nach frischem Gras suchen.
    »Lass uns rasten«, murmelte Alina. »Wir sind weit gekommen, ein paar Stunden Schlaf werden uns guttun.«
    Doch in diesem Augenblick stieg die rote Sonnenscheibe am Himmel auf, klein und fern war sie und kaum zur Hälfte sichtbar, doch ihr Feuer färbte das Firmament und ließ das graue Eis auf dem Fluss rosig schimmern. Gewaltig hoben sich die Schneeberge vor ihren Augen, tiefrot ihre Gipfel, jede Linie, jeder Grat wie mit feurigem Stift in den Himmel gezeichnet. Schwarze Schatten lagen auf den schneebedeckten Hängen, doch in der morgendlichen Glut sah man das Licht wie rote Lava von den Gipfeln zu Tal fließen. Es war, als brenne ein

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