Schattengefährte
ihre Feenmutter, die Einlass in die Burg verlangte.
»Hilf mir«, murmelte sie leise. »Ich brauche deinen Bogen, Mutter, denn ich will um meine Liebe kämpfen«.
Der scharfe Wind legte sich jedoch nicht, und Niam hatte Mühe, dagegen anzureiten. In den Wiesen ließ er die trockenen Blütenstände der Gräser zittern, er sauste durch das niedrige Gebüsch und rauschte in Alinas Ohren wie eine zornige Stimme. »Soll der Wind doch sein Unwesen treiben«, dachte Alina trotzig. »Besser Wind und Sturm als ein Geschwader von Raben über meinem Haupt.«
Immer wenn die Wolken den Mond freigaben, spähte sie sorgenvoll zum Himmel hinauf, blickte suchend in alle Richtungen, denn noch hatte sie den Bogen nicht, noch war sie der Morrigan und ihren Kriegern schutzlos ausgeliefert. Es war ein Irrtum gewesen, sich sicher zu fühlen, nur weil sie nicht mehr als Räbin umherflog – die Morrigan hatte Nemed ohne Zögern getötet, genauso konnte es auch ihr selbst ergehen. Vielleicht hatte Fandur sogar mit Bedacht die Lampe im Turm umgestoßen, denn der Brand hatte die Raben verscheucht. Sonst hätte es wohl sein können, dass die Morrigan in den Kerker eingedrungen wäre, um sich an der Nebenbuhlerin zu rächen.
Daran wollte sie besser nicht denken.
In der Ferne waren jetzt schon die ersten hohen Bäume zu erkennen, düstere, knorrige Gestalten vor dem milchigen Licht des Mondes, der Wald würde es ihr leichter machen, sich zu verbergen. Ganz sicher hatte auch die Morrigan keine guten Nachtaugen, denn sie war eine Räbin, im dunklen Gewirr der Zweige hatte sie wenig Chancen, ein Opfer zu erspähen.
Der Wald öffnete sich ihr wie ein weites Tor, in das Niam eilig hineintrabte, denn auch die kleine Stute schien sich in den sturmgepeitschten Wiesen unwohl zu fühlen. Wie von selbst erschlossen sich die Pfade, Äste schienen sich beiseitezuschieben, Gesträuch duckte sich, um der Reiterin kein Hindernis zu bieten, selbst die knotigen Wurzeln, die sich aus den Wegen herauswölbten, streckten sich aus und boten den Hufen der Stute sicheren Halt. Alina blieb dennoch misstrauisch, denn sie kannte die Hinterlist der Hexe. Wahrscheinlich wollte sie die Ankömmlinge nur in Sicherheit wiegen, um sie dann desto heftiger zu erschrecken. Aber da würde die Alte sich täuschen, weder der graue Wolf mit seinen Glutaugen noch ein umstürzender Baum würde sie aufhalten, sie wollte den Feenbogen haben, und sie würde ihn bekommen. Welch eine Frechheit von dieser steinernen Schwätzerin, sich der Zauberwaffe zu bemächtigen!
Der Höhleneingang klaffte im Fels wie ein zahnloses, zum Gelächter verzogenes Maul, kleine Einschlüsse im grauen Stein blitzten im Mondschein wie Fünkchen auf und verschwanden wieder, als sich eine Wolke vor die Mondsichel schob.
»Warte hier auf mich, meine schöne Niam«, flüsterte Alina. »Halte dich bereit, denn es könnte sein, dass wir miteinander fliehen müssen.«
Niam schnaubte leise, und Alina spürte das samtweiche Maul der Stute auf ihrer Wange, als sie abgestiegen war. Sie band Niam nicht fest, denn sie war sicher, dass ihr Pferd ohne sie nicht von der Stelle weichen würde. Langsam trat sie auf den dunklen Höhlenmund zu, atmete tief, um die Angst zu verscheuchen, und versuchte, das Innere der Grotte mit scharfen Feenaugen zu erkennen. Doch es war schwarz wie eine sternlose Nacht, dunkler noch als das Gefieder des Raben.
Gewiss war es nicht klug, in diese Höhle hineinzugehen, wer wusste schon, was die boshafte Steintante dort an Überraschungen bereithielt.
»Hexe!«
Sie biss sich auf die Lippen. Nein, es war sicher besser, sie anders anzureden.
»Steinerne Herrin der Höhle! Hier steht Alina, Etains Tochter. Ich will mit dir sprechen.«
Es war in den Wind gesagt, die Alte gab keine Antwort. Niam schüttelte die Mähne, dann streckte sie den Hals vor und knabberte sorglos an einem niedrigen Busch, dem noch einige grüne Blättchen geblieben waren.
Alina entschloss sich widerwillig, wenigstens zum Eingang der Höhle zu gehen. Dort bückte sie sich, und jetzt endlich konnte sie dort drinnen etwas erkennen. Trockenes Laub lag auf dem felsigen Boden, dahinter türmte sich das Geröll, eine schwarze Fledermaus segelte ihr entgegen und glitt dicht an ihr vorüber in den Wald hinein.
»Hast du mich gehört?«
»Gehört … gehört … gehört …«
Wo kam das Echo plötzlich her? Vermutlich war es ein hinterhältiger Trick, die Hexe machte sich über sie lustig, indem sie ihre Stimme nachäffte. Es
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