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Schattengeschichten

Schattengeschichten

Titel: Schattengeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hauke Rouven
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Nische gegenüber der Bar. Auf seinem Weg grüßte er Karen, die ihn aber nicht beachtete, weil viel Trubel herrschte. Wenigstens waren seine Kopfschmerzen verschwunden. Dennis setzte sich und wartete. Und wartete. Und wartete, dass irgendjemand zu seinem Tisch kam, um ihn zu fragen, was er wünschte. Dann würde er antworten: „Dass mich jemand beachtet. Ich möchte Feuer für meine Zigarette, ein großes Glas Wasser und ein Sandwich mit Schinken und Käse.“
    Aber Keiner kam.
    Minuten später trat ein Pärchen in den Raum. Es deutete unmissverständlich in seine Richtung. Dennis kannte sie nicht, aber jetzt hatte ihn jemand entdeckt. Die beiden kamen auf ihn zu. Er wollte gerade zu einer Begrüßung ansetzen, da bemerkte er, was sie wirklich wollten. Dennis war ihnen gar nicht aufgefallen. Das Pärchen setzte sich einfach an seinen Tisch, fast hätte sich der Mann sogar auf ihn gesetzt, wenn Dennis nicht weiter in die Ecke gerutscht wäre. Das ging jetzt entschieden zu weit.
    „Entschuldigen sie“, hob Dennis zu einer Hasstirade an und streckte dabei seinen Finger zur Schulter des Mannes vor, um ihn anzutippen. Erschrocken nahm er ihn wieder zurück.
    Unfassbar. Noch einmal. Es war keine Einbildung. Das kann nicht sein. Noch einmal. Nein, wie geht das? Dennis´ Finger berührte die Schulter des Mannes nicht. Ein jedes Mal, wenn er ihn ausstreckte, spürte er keinen Widerstand und glitt in den Körper des anderen.
    „Was?!“ schrie Dennis, sprang auf und zwängte sich durch den Mann. Er fühlte das Blut, das Plasma, die Organe, all das, was ein Körper zum Leben brauchte. All das, was Dennis augenscheinlich nicht mehr besaß. Er lief zu Karen und wollte sie berühren. Das gleiche Phänomen. Auf seiner panischen Flucht nach draußen kamen ihm einige Gäste entgegen, die er ohne weiteres durchschritt. Selbst dann nahm Niemand eine Notiz von ihm. Er war unsichtbar, oder noch schlimmer: Ein Gespenst, das an der Alster umher irrte.
    Wieder auf dem Bürgersteig übergab er sich. Seine Kopfschmerzen kehrten zurück. Er setzte sich auf den Kantstein an der Straße und wartete, auf einen Menschen, der ihn endlich beachtete, auf irgendein Zeichen, das ihm verriet, nur zu träumen. Weitere Minuten verstrichen und Dennis wurde gewiss, dass sich an seinem Zustand nichts ändern würde. Er sollte seiner Umgebung verborgen bleiben.
    Aber was war er nun? Unsichtbar konnte er nicht sein, schließlich war sein Körper für ihn selbst sichtbar und Dennis hatte schon viel von Unsichtbaren gehört, die sich selbst nicht mal sehen konnten. Wie in dieser Serie oder diesem Filmklassiker. Also, und diese Antwort schenkte ihm keine Befriedigung, war er ein Geist. Gab es nicht diese Menschen, die Geister sehen konnten, verlorene Seelen und dergleichen? Wie hießen sie noch? Medium. Ja, Dennis musste ein Medium finden. Als er darüber nachdachte, stellte er fest, dass er nicht im Geringsten wusste, wo eines zu finden war und verwarf die Idee. Er war ein Geist. Okay. Dennis war sehr rational, was sein Leben anging, und auch jetzt im Tod suchte er nach realistischen Möglichkeiten seiner Misere zu entkommen. Wenn er schon tot war, dann wollte er auch seine Ruhe haben und im Himmel verweilen oder wo auch immer man nach seinem Tod hinkam. Warum blieb ein Toter auf der Erde, als feinstöffliches Wesen? Auch davon hatte er mal gehört. Geister blieben gewöhnlich, wenn ihren Körpern ein unnatürlicher Tod widerfahren war. Und dieser Unfall, oder gar Mord, hatte sich zwangsläufig an der Stelle zugetragen, an der er aufwachte. So muss es sein, dachte er.
    Und mit dem Elan eines Lebenden sprang er vom Boden auf und ging beschleunigten Schrittes nun jene Straße zurück, die er zuvor so desolat beschritten hatte. Die Kopfschmerzen verflogen, die Übelkeit wurde erstickt. Dennis war wieder erwacht, klaren Verstandes und voller Zuversicht, dass er das Rätsel um seinen Tod lösen würde.
    Nachdem er die amerikanische Botschaft passiert hatte, geschah etwas Ungewöhnliches für diese Jahreszeit: Es schien aus der Alster zu kriechen und während die Sonne noch prächtig strahlte, versperrte bald eine Nebelfront Dennis´ Sicht nach vorn. Ohne einem offensichtlichen Grunde breitete sie sich immer weiträumiger über die Straße aus und erfasste schließlich auch seinen nicht sichtbaren Körper. Um zu seinem Haus zu gelangen, blieb ihm nichts anderes übrig, als durch den Nebel zu marschieren. Ob jetzt auch die Lebenden in diesem Trübsal gefangen

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