Schattengeschichten
waren? Der Nebel war so dicht, dass Dennis sich an den Zäunen und Toren der Häuser orientierte, um nicht vom Weg abkommen. Hier war es weder dunkel noch hell. Eine graue, breiige Masse verschluckte die Objekte der Stadt.
Und der Nebel trotzte nicht nur dem Wetter. Als Dennis schließlich wieder freie Sicht hatte, war es gänzlich dunkel geworden. Die Sonne schien schon lange untergegangen. In tiefster Nacht erreichte er sein Haus, dessen Pforte zum Garten offen stand. Aus dem Gebäude drang Licht durch einige Fenster.
Jemand besuchte seine Todesstätte.
Und schon glaubte er, dem Mörder seines Körpers begegnen zu können. Nur noch die Haustür trennte ihn von einer Gewissheit. Es war bestimmt Max, sein stiller Teilhaber, der mehr Geld gefordert hatte. Oder es war Julia gewesen, die jemanden beauftragt hatte ihn zu töten. Als Frau eines Unternehmers, der nie Zeit hatte, traf sie sich bestimmt mit Liebhabern, um den mangelden Sex auszugleichen. Sie würde ein hohes Erbe antreten, sollte Dennis sterben (was ja geschehen war) und dieses konnte sie dann mit irgendwelchen Jüngeren genießen. Klang doch verlockend. Oder es waren Geschäftspartner, deren Namen Dennis nicht mehr kannte, die er aber mehr als ein Mal um hohe Summen gebracht hatte. Oder die Mafia? Oder...
„Trete ein, Dennis“, klang eine Stimme. Ohne zu denken folgte er ihr. Dennis durchdrangen die Fasern der Holztür, als er sie durchschritt, auch die Moleküle des Lacks und des Glases. In seinem Flur brannte kein Licht und aus dem Wohnzimmer drangen Stimmen an seine Ohren.
„Pass auf dich auf, Liebes“, flüsterte eine unbekannte, männliche Stimme.
„Das werde ich.“
Das war nicht Julia. Wer, zum Teufel, befand sich in seinem Haus, das ihm de facto irgendwie noch gehörte? Und als die Schüsse durch das Haus peitschten wurde ihm klar, dass er den Film, der über den Fernseher flimmerte, kannte.
„Was soll das?“ fragte er und betrat sein Wohnzimmer. Irgendjemand saß auf seinem Sessel und schaute fern. Jemand hatte es sich nach seinem Tod bequem gemacht.
Schnellen Schrittes durchquerte er den großen Raum und trat neben die Gestalt, die ihn wohl nicht sehen konnte. Dennis drehte sein Kopf, um der Person ins Gesicht zu sehen und erschrak so sehr, dass er nach hinten purzelte.
„Nein“, krächzte er, „Das kann nicht sein.“
„Doch“, sagte die Stimme, die ihn zum Eintreten aufgefordert hatte, „So ist es, Dennis.“
Sein Gehirn wollte es nicht glauben, doch schien es nicht schon irrational genug, dass er als Toter in Hamburg umher irrte?
„Erhebe dich“, sagte die Stimme.
„Wer bist du? Wo bist du?“
„Das ist nicht wichtig, Dennis“, antwortete die Stimme, „Wichtig ist, was du siehst. Was siehst du, Dennis?“
Er schluckte.
„Mich.“
„Sehr richtig. Das dort im Sessel bist du. Gestern Abend, bevor du gestorben bist. Und weißt du was, mein Lieber? Ich bin so gnädig und gebe dir noch eine zweite Chance. Helfe deinem Körper zu Überleben und du bist frei.“
Dennis stellte sich auf und betrachtete sich im Sessel. Er aß Chips und trank Rotwein. Jetzt erinnerte er sich. Dieser teure Rotwein, den er in der Innenstadt gekauft hatte. Wie lecker er doch schmeckte.
„Und wie soll ich das machen? Ich meine, wie kann ich mir helfen? Ich kann doch nichts anfassen.“
Die Stimme lachte.
„Du kannst dich nicht mal sehen oder dir irgendwas sagen. So sind die Regeln. Herausfinden musst du es selbst.“
„Wer bist du?“ fragte Dennis, doch die Stimme blieb stumm. Er rief noch mehrmals nach ihr. Verzweifelt und vergeblich.
Mit Argwohn betrachtete er sich schließlich selbst im Sessel. Korpulent und selbstgenügsam wie er war. Es vergingen einige Minuten, der Actionfilm nahm an Dramatik zu und die Flasche Wein näherte sich ihrer Leere. Was soll ich nur machen?, dachte er, wie soll ich mir helfen und wobei? Wenn ich bloß meine Erinnerungen wieder hätte, aber ich weiß nur das, was ich sehe. Und plötzlich kam ihm diese Idee. Dennis hatte mal einen Film gesehen, in dem Geister durch ihre Gedankenkraft Gegenstände bewegen konnten. Er glaubte, dass es ein Liebesfilm gewesen war, aber das machte keinen Unterschied. Er musste es versuchen. Wie war das noch? Die Gefühle auf einen Punkt konzentrieren und der Gegenstand bewegt sich. Dennis suchte nach einem geeigneten Objekt.
Das Glas.
Wenn er es auf den Boden befördern konnte, würde er auch einen Stift benutzen können, auch wenn er nicht wusste, was er dann
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