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Schattengeschichten

Schattengeschichten

Titel: Schattengeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hauke Rouven
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wieder komme.“
    Mit der Geschmeidigkeit einer Katze sprang er hinten aus dem Flugzeug und es dauerte nur wenige Sekunden, bis ich ihn wieder sah. Und diesmal trug er etwas in den Händen, was aussah wie zwei riesengroße, schwarze Müllsäcke. Viel zu groß für seine Gestalt, aber sie sahen nicht schwer aus, obwohl sie so vollgepackt waren, dass sie ausbeulten. Mit einer Leichtigkeit warf er sie auf die Ladefläche, folgte ihnen und leerte sie aus.
    Ein Stöhnen, Ächzen, Schreien, alle menschlichen Laute des Leidens schwollen meinen Ohren entgegen und als die Säcke ausgeleert waren, lagen Dutzende Männer und Frauen und Kinder vor meinen Füssen. Sie krümmten sich, sie hielten sich umschlungen, aber sie standen nicht auf.
    „Warte noch einmal“, sagte er, „Hier gibt es immer mehr zu tun als in der nördlichen Welt.“
    Und wieder Sekunden später erschien er, leerte volle Säcke aus und kippte die neuen Körper einfach über die anderen. Ein riesiges Menschenknäuel war entstanden. Und ich, tja, weißt du, Antonia, ich hatte das schon erwartet, irgendwie, also machte es mir nichts aus. Ich dachte nur an das Fliegen und das wir gleich wieder abheben würden. Er klopfte mir auf die Schulter, als er an mir vorbei ging und sagte: „Komm, mein Freund, du bist engagiert.“
    Wir flogen noch eine Weile, im Prinzip steuerten wir jedes Land der Erde an, denn du kannst dir sicher vorstellen, dass überall in der Welt jeden Tag Menschen sterben. Irgendwann machten wir uns wieder auf den Rückweg. Er schien vollkommen zufrieden mit mir, brauchte keine Worte mehr, um mir das mitzuteilen.
    Als wir über dem Friedhof, seinem Friedhof, waren, öffnete er die Ladeklappen und ich vernahm, wie der Fahrtwind alle Körper mit sich riss. Er verstreute sie auf seinem Friedhof wie einer, der sät.
    Ich landete schließlich. Mein Schlafplatz wurde das Cockpit und von nun an sollte es ewig so weiter gehen. Ich wachte auf, flog mit ihm in unsere Welt und wir holten die Toten ab. Das passierte mir heute im Badezimmer. Glaub´ es oder nicht, so ist es geschehen.“
    Eine Pause entstand, in der Antonia versuchte sich zu erinnern, wie Hendrik gewesen war, bevor das geschah. Sie konnte es nicht. Der Mann, der neben ihr saß, war fremd. Das Etwas, das unter seiner Haut kroch, unterstrich die Geschichte, die er erzählt hatte, aber glauben, das konnte Antonia nicht.
    „Es war ein Traum“, sagte sie, „es war nichts als ein Traum.“
    Hendrik lachte wissend.
    „Nein, das war kein Traum und das weißt du. Auch wenn dein Verstand sich dagegen wehrt, du spürst die Wahrheit.“
    Er berührte ihre Wange und Antonia zitterte.
    „Ich gehe wieder rein“, sagte sie und stand auf. Hendrik hielt sie fest. Und sie spielte das Spiel mit.
    „Okay“, sagte sie, „Wenn du also vorhin in der Wanne gestorben bist und der Tod dich anstellte, um für ihn seine Leichen zu fliegen. Und du glücklich damit bist, weil du endlich Pilot sein kannst. Warum bist du dann zurück gekommen?“
    Ihre Stimme überschlug sich vor Wut und Antonia hoffte, dass irgendein verirrtes Gästepaar in ihrer Nähe war und alles mit angehört hatte.
    „Ich mache das nun schon eine Weile und es macht auch wirklich Spaß, aber, weißt du, ich fühle mich immer öfter allein.“ Er lächelte. „Antonia“, sagte er, „ich möchte, dass du mit mir kommst, dass wir wieder vereint sein können“, und im nächsten Moment ergriffen seine Hände ihren Hals, „aber dafür musst du sterben, Schatz.“ Er drückte seine Daumen fest in ihre Haut, Antonia röchelte, wehrte sich, aber Hendriks Kraft war zu stark, unmenschlich. Sie kratzte ihn, aber er zeigte keine Reaktion. Immer panischer bäumte sich ihr Körper auf, während sie mit stoischer Ruhe erwürgt wurde. In einem langen, qualvollen Moment starb sie und das letzte, was ihre hervorquellenden Augen erblickten, war das zufriedene Grinsen ihres Ehemannes.

Eine zweite Chance

    Die Haustür stand offen. Das Licht der Sonne fand seinen Weg in den Flur und brannte sich in den Teppich. Die Fasern dampften, wollten den Körper erhitzen, der auf ihnen lag. Dennis erwachte, weil der Wind mit den Jalousien spielte, die vor dem offenen Fenster hingen. Es klapperte laut und seine Ohren zuckten unter dem Geräuschchaos. Autos hupten vor seinem Haus und irgendwo bellte ein Hund einer Katze hinterher, Vögel zwitscherten, ein Hubschrauber kreiste über der Alster. Die Hitze unter sich spürte Dennis nicht. Er realisierte nur die

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