Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
führen. Aber er empfand das Gefühl auf seiner Zunge eher unangenehm und den salzig-süßen Geschmack abstoßend. So widmete er sich lieber dem hellen, in Eichenfässern gereiften Wein und spülte immerhin zwei Seeigel hinunter, ehe sein Magen rebellierte. Er verzog das Gesicht und schob seinen Teller weg.
»Die schmecken ja grauenhaft! Da habe ich ja schon Besseres unter verrotteten Baumstämmen gefunden!«
»Du magst sie nicht?« Seregil spaltete mit sicherem Schlag die Schale seines vierten Seeigels. »Ich fürchte, wir müssen deinen Geschmack etwas kultivieren. In Rhíminee betrachtet man nahezu alles, was aus dem Meer kommt, als Delikatesse. Vielleicht wird dir der nächste Gang besser munden.« Er gab Cilla einen Wink. »Hast du jemals Tintenfisch probiert?«
Als die Wochen vergingen, blieben Alecs Fortschritte im Schwertkampf weiterhin gering. Seregil war enttäuscht. Während einer morgendlichen Übungsstunde, etwa einen Monat nach ihrer Ankunft, riß ihm der Geduldsfaden.
»Die linke Seite zurück!« schimpfte er zum fünften Mal in einer halben Stunde, wobei er seine hölzerne Schwertspitze in die fälschlich vorgeschobene Schulter bohrte. »Wenn du so vortrittst, nachdem du einen Schlag abgeblockt hast, bietest du deinem Gegner die doppelte Angriffsfläche. Dein Gegner muß nur einfach das tun …« Seregil schlug Alecs Klinge zur Seite und deutete einen Schnitt quer über den Bauch des Jungen an. »Und dann stehst du da und hältst die eigenen Eingeweide in der Hand!«
Alec stellte sich schweigend wieder zurecht, aber Seregil bemerkte die Anspannung, die in seiner Haltung lag. Seine nächste Finte wehrte der Junge gerade noch ungeschickt ab, doch dann schob er wieder die linke Schulter vor, als er einen Gegenangriff versuchte.
Bevor er sich zurückhalten konnte, hatte Seregil schon pariert und ihm einen scharfen Schlag auf den Hals versetzt. »Du bist schon wieder tot.«
»Tut mir leid«, brachte Alec mühsam hervor und wischte sich den Schweiß aus den Augen.
Seregil verfluchte innerlich sein eigenes Verhalten. Seit er den Jungen kannte, war dies das erste Mal, daß er wirklich geschlagen und entmutigt dreingeblickt hatte. So unterdrückte er die eigene Ungeduld und versuchte es erneut: »Es erscheint dir einfach noch nicht natürlich, das ist alles. Versuche, dir vorzustellen, wie deine Haltung wäre, wenn du einen Bogen in Händen hieltest.«
»Man hält aber den Bogen mit der linken Hand und zieht die Sehne mit der rechten an«, verbesserte ihn Alec. »Dabei geht die rechte Schulter zurück.«
»Ach, ja. Nun, hoffen wir, daß du am Ende besser mit dem Schwert umgehen kannst, als ich mit dem Bogen. Also, noch einmal.«
Alec schaffte es gerade noch, einen Überkopfschlag zu parieren, ließ ihm jedoch erneut einen erfolglosen Gegenangriff folgen. Seregils Holzklinge erwischte ihn hart ganz unten am Hals, worauf ein paar Tropfen Blut flossen.
»Zum – Oh, verdammt!« Seregil zerbrach sein Übungsschwert über dem Knie, warf die beiden Teile weg und inspizierte den unregelmäßig verlaufenden Kratzer am Hals des Jungen.
»Tut mir leid«, wiederholte Alec und blickte über Seregils Schulter hinweg. »Ich habe mich wieder falsch gedreht.«
»Ich bin nicht böse auf dich. Was das betrifft …« Er deutete auf die beiden Bruchstücke des Übungsschwerts. »Das habe ich getan, damit das Pech endlich gebrochen wird. ›Verflucht sei die Waffe, die das Blut eines Freundes vergießt.‹ Sehen wir uns einmal an, was dir sonst noch alles passiert ist.«
Alec zog die schweißgetränkte Weste über den Kopf, und Seregil sah sich die Schrammen genau an, die blau und angeschwollen über Brustkorb, Arme und Rippen des Jungen verteilt waren.
»Das hatte ich mir doch gedacht. Illiors Finger, wir machen irgend etwas falsch! Du hast doch alles andere so schnell gelernt.«
»Ich weiß nicht«, seufzte Alec und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Ich denke, als Schwertkämpfer bin ich ein hoffnungsloser Fall.«
»Sag das nicht«, schalt Seregil. »Wasch dich, während ich uns etwas zum Mittagessen besorge. Mir fällt schon etwas ein, wie dir zu helfen sein wird.«
Seregil kehrte mit einer großen, dampfenden Platte voller winziger gebratener Vögel zurück, die mit Käse und Johannisbeeren und dunkel gesprenkelten Pilzen gefüllt waren. Diese Pilze rochen unangenehm, schmeckten jedoch vorzüglich.
»Mach bitte den Tisch frei!« schnaufte er und stellte das schwere Tablett auf der Kante des
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