Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
Körben auf den Märkten. Diese größeren hier werden von Fischern hereingebracht, die auch Fallen für Krabben und Hummer auslegen. Kaum ein Bürger Rhíminees ißt sie nicht. Das Schwierige ist nur, sie je nach der Gesellschaft, in der man sich befindet, auf die richtige Weise zu verspeisen. Laß uns zuerst einmal sehen, wie du das machen würdest.«
Alec blickte ihn ungläubig an. »So wie sie sind? Seregil, die Dinger bewegen sich doch noch!«
Thryis schnaubte verächtlich vom Herd her, aber Seregil bedeutete ihr, zu schweigen. »Das Kochen verdirbt Geschmack und Gewebe. Iß. Ich würde es dir nicht geben, wenn es nicht eßbar wäre.«
Immer noch zweifelnd zog Alec den kleinsten Seeigel vorsichtig an einem der Stacheln aus der Schüssel. Auf halbem Weg zu seinem Teller löste sich der Stachel plötzlich, und er mußte das stachlige Untier mit beiden Händen weiter zum Teller jonglieren. Als das Ding dann so auf dem Teller lag, wie er es wollte, rollte er es unentschlossen mit seinem Löffel hierhin und dorthin und wußte nicht, wie er weiter vorgehen solle. Er entdeckte eine Art von Öffnung an der Unterseite und versuchte, mit seiner Messerspitze hineinzukommen. Sofort brach die gesamte Schale unter der Klinge in kleine Stücke auseinander. Wasser, abgebrochene Stacheln und eine hellgraue und eine gelbe Masse spritzten auf sein vornehmes Gewand.
»Ausgezeichnet!« lachte Seregil und warf ihm eine Serviette zu. »Wenn du dich als ein junger Adliger vom Land ausgibst, der zum ersten Mal die Küste besucht, mach genau das gleiche. Ich habe noch nie erlebt, daß jemand den ersten Seeigel essen konnte, ohne ihn in Stücke zu zerbrechen. Wenn du aber nun in irgendeiner Taverne hier sitzt und dich als Arbeiter oder Bauer ausgibst, der zum Markttag in die Stadt gekommen ist, stellst du es am besten so an.«
Seregil nahm mit leichter, sicherer Hand einen Seeigel aus der Schüssel, schlug das Gehäuse an der Tischkante auf wie ein Ei und entfernte dann die Bruchstücke vom Inneren, damit Alec alles gut sehen konnte.
»Diese graue Masse hier ist der Körper. Das wird nicht gegessen«, erklärte er und schabte es mit dem Fingernagel aus. Mit heraus kam auch ein kegelförmig zulaufender Ring, aus weißen Teilen gebildet, die entfernt an winzige, aus Knochen geschnitzte Vögel erinnerten. »Und das sind die Zähne. Die gelbe Masse ist es, die du essen kannst, der Rogen.«
Seregil zog vorsichtig mehrere schlanke, gallertartige Läppchen heraus und aß sie mit sichtlichem Genuß.
»Ich habe sie heute morgen ganz früh am Hafen gekauft«, sagte Cilla zu ihm. »Auch einen Eimer Meerwasser nahm ich mit, dann hängte ich sie während des Tages in den Brunnen, damit sie kühl blieben.«
»Wunderbarer Geschmack!« Seregil warf die leere Schale nach hinten ins Feuer. Er wischte sich Lippen und Hände mit einer Serviette ab und sagte: »Das also waren Manieren, wie man sie in einer Taverne erwartet. So werden sie gegessen, solange man sich nicht im Kreise Adliger bewegt. Mach es auf diese Art, wenn du für einen einfachen Menschen gehalten werden willst. Aber du wirst dich ja erinnern, daß wir heute in der Silbermondstraße dinieren, und hier gelten andere Regeln.
Paß gut auf.
Zuerst schiebt man – niemals aufrollen – die Ärmel einer solch edlen Robe den halben Ellbogen hoch, nicht weiter. Den linken Ellbogen kannst du auf den Tisch stützen, aber niemals den rechten, wenn es auch durchaus in Ordnung ist, das Handgelenk auf der Tischkante ruhen zu lassen. Man ißt mit dem Daumen und den beiden ersten Fingern jeder Hand. Die anderen solltest du auf diese Weise halten – siehst du? Gut. Nimm nun den Seeigel mit der linken Hand auf, ganz locker, ja, und halte ihn so, daß du seine Mundöffnung siehst. Dann sprenge die Schale durch einen kurzen Schlag mit der Messerschneide. Sobald sie geöffnet ist, putzt du sie mit der Messerspitze aus, und dann benutze den Löffel, um den Rogen herauszuholen. Die leere Schale kommt auf deinen Teller. Und sprich nicht mit vollem Mund. Wenn dich jemand anspricht, krümme nur einfach einen Finger vor deinem Mund und iß erst einmal fertig, ehe du antwortest.«
Alec mußte sein Ungeschick büßen, indem er ein paarmal böse Bekanntschaft mit den Stacheln machte, bis es ihm endlich gelang, die Seeigel richtig zu knacken. Seine Finger schmerzten, weil er sie so eigenartig gespreizt halten mußte. Schließlich hatte er es geschafft, einige der ekligen Rogenläppchen unversehrt zum Mund zu
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