Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
Eßtisches ab.
»Dem Schöpfer sei Dank, endlich etwas, das auf dem Festland gelebt hat«, rief Alec hungrig. Er schob Bücher und Pergamentrollen beiseite. Thryis hatte gestern abend wieder eine neue Gattung roher Schalentiere serviert, weswegen er hungrig zu Bett gegangen war.
Während Seregil fort war, um das Essen zu holen, hatte er sich ein frisches Hemd übergezogen, jedoch in der Eile hatte er es weder richtig in die Hose gesteckt noch den Kragen und die Ärmel zugebunden. Das Leinenhemd hing ihm lose um die schmalen Hüften, als er sich beeilte, die Tassen von einem Regal zu holen. Sein blondes Haar, endlich wieder ordentlich geschnitten, schimmerte, als er durch einen Sonnenstrahl schritt.
Seregil ertappte sich dabei, wie er den Jungen mit den Augen verschlang, und wandte seine Aufmerksamkeit ganz schnell wieder dem Essen zu.
»Soll das wieder eine der Lektionen über gute Tischmanieren werden?« fragte Alec, wobei er mißtrauisch den Besteckkasten anblickte, während er bereits nach einem der winzigen Vögel griff.
Seregil klopfte ihm mit einem Löffel mahnend auf das Handgelenk. »Ja, soll es. Nun schau zu.«
»Warum ist es in Skala so schwierig, irgend etwas zu essen?« stöhnte Alec. Seregil demonstrierte derweil die Methode, wie man diese winzigen Dinger aß, ohne sie von der Platte zu nehmen oder die Knochen durcheinanderzubringen.
»Ich gebe ja zu, Thryis angewiesen zu haben, daß sie uns ein paar der schwierigeren Speisen zubereiten solle, aber wenn du diese meisterst, wird dir der Rest leichtfallen«, versicherte ihm Seregil grinsend. »Du darfst die Bedeutung solcher Sitten nicht unterschätzen. Nehmen wir einmal an, du hast dir Einlaß in das Haus eines Lords verschafft, indem du dich als Sohn eines alten Kriegskameraden des Hausherrn ausgegeben hast. Du hast dich mit den Schlachten beschäftigt, du kennst die Namen aller wesentlichen Generäle, dein Dialekt stimmt, und du bist perfekt gekleidet. Sobald du aber nur etwas sprachlich abrutschst oder einen gebackenen Aal mit deinem Messer aufspießt, stehst du unter Verdacht. Oder stell dir vor, du versuchst dich in der Unterstadt als Seemann auszugeben. Falls du aus Versehen einen Wein bestellst, der einen ganzen Monatslohn kostet oder mit geziert abgespreizten Fingern ißt, mußt du damit rechnen, höchstwahrscheinlich kurz darauf mit dem Gesicht nach unten im Hafen treibend aufgefunden zu werden.«
Geläutert nahm Alec seinen Löffel wieder in die Hand und stocherte auf den Vogel vor ihm ein. »Aber wie steht es nun mit meinen Übungen im Schwertkampf?«
»Ach, ja. Also, ich glaube fast, daß eher ich das Problem bin und nicht du.«
Alec warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Micum sagte, du seist einer der besten Schwertkämpfer, die er je getroffen hat.«
»Das ist ja das Problem. Bei mir liegt das alles hier begründet.« Seregil deutete mit einem Finger auf sein Herz. »Der Kampf mit dem Schwert ist für mich so natürlich wie das Atmen. Das war schon immer so. Es besteht alles nur aus Aggression, Geschick und Intuition. Also werde ich jedesmal, wenn du deine Deckung vernachlässigst oder deine Schulter nach vorn schiebst, ganz ohne Nachdenken in die Lücke stoßen und deinen Fehler ausnützen. Alles, was ich auf diese Weise bisher erreicht habe, ist, dich zu verunsichern. Nein, das ist wohl das einzige, was ich dir nicht beibringen kann. Deshalb habe ich beschlossen, dich nach Watermead zu schicken.«
Alec blickte abrupt auf. »Aber wir haben ja kaum …«
»Ich weiß, ich weiß!« unterbrach ihn Seregil in der Hoffnung, einen weiteren Streit darüber zu vermeiden, daß er Alec aus seiner Arbeit ausschließe. »Nur eine Woche lang, und der Rest kann solange warten. Ich muß ohnehin Bekas Bestallungsurkunde dort abliefern, und deshalb werden wir auch heute dorthin reiten.«
In diesem Augenblick klopfte es an die Tür, und Alec fuhr erschrocken zusammen.
»Keine Angst«, sagte Seregil. »Jeder, der noch in der Lage ist anzuklopfen, nachdem er meine Treppe hochstieg, kann nur ein Freund sein. Seid Ihr das, Nysander?«
»Einen guten Tag euch beiden.« Der Hauch der Magie begleitete den Zauberer, als er eintrat, obwohl er genauso gewöhnlich gekleidet war wie an jenem ersten Tag, als Alec ihn im Hafen getroffen hatte.
»Ach, wie ich sehe, komme ich gerade rechtzeitig, um eines von Thryis’ ausgezeichneten Gerichten genießen zu können!«
Seregil zog fragend eine Augenbraue hoch. »Ich dachte, wir würden uns heute abend
Weitere Kostenlose Bücher