Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
Elsbet.
»Die Dialoge von Tassis!« hauchte das Mädchen und betrachtete den Einband. Jede Spur von Schüchternheit fiel von ihr ab, als sie den Band öffnete und mit einem Finger die erste Seite nach unten fuhr. »Und in Aurënfaie! Wo hast du das nur gefunden?«
»Das verrate ich lieber nicht. Aber wenn du mehr in der Mitte nachschlägst, wirst du, glaube ich, etwas anderes Interessantes finden.«
Elsbet riß die Augen auf, als sie einen kleinen Pergamentbogen herauszog und Nysanders Einladung las, ihn sobald wie möglich zu besuchen.
»Jemand muß wohl dein Interesse an der Bibliothek im Orëska ihm gegenüber erwähnt haben«, sagte Seregil übertrieben unschuldig.
Zwischen Furcht und Freude hin- und hergerissen, stammelte Elsbet: »Ich weiß doch gar nicht, was ich zu ihm sagen soll.«
»Es fällt einem ziemlich leicht, sich mit ihm zu unterhalten«, beschwichtigte Alec. »Nach ein paar Minuten fühlst du dich, als hättest du ihn schon dein Leben lang gekannt.« Elsbet wandte sich wieder ihrem Buch zu, lief aber noch dunkler an im Gesicht als zuvor.
»Onkel!« Illia hockte sich mit empörtem Blick auf die Fersen. »Da ist gar nichts mehr drin!«
»Und meine Dame fühlt sich übergangen! Gib mir dein Halstuch und setz dich auf Alecs Schoß. Sei nicht so schüchtern. Auf seinem Schoß sitzen andauernd schöne junge Damen. Du bist schon lange daran gewöhnt, nicht wahr, Alec?«
Alec warf Seregil über Illias Kopf hinweg einen finsteren Blick zu, da ihm die Neckerei offensichtlich nicht paßte.
»Nun«, begann Seregil, und er legte die Zipfel des Halstuchs aneinander und hielt es daran hoch, »was hast du dir beim letzten Mal gewünscht, als ich hier war?«
»Etwas Magisches«, flüsterte Illia, die großen, dunklen Augen auf das Halstuch gerichtet.
Seregil vollführte mit grandiosen Gesten einige Beschwörungen, und dann gab er ihr das Tuch zurück. Sie faltete es auf und fand eine kleine Elfenbeinfigur an einer Kette darin.
»Was vollbringt sie?« fragte sie, während sie sich die Kette augenblicklich um den Hals hängte. Bevor ihr Seregil jedoch antworten konnte, flatterte eine Schwalbe durch den Rauchabzug herein und ließ sich auf Illias Knie nieder. Der kleine Vogel schimmerte im Feuerschein und begann, sich das Gefieder zu putzen.
»Es ist ein drysisches Amulett«, sagte Seregil zu ihr, als sie gerade die Hand langsam ausstreckte und einen glänzend blauen Flügel streichelte. »Du mußt sehr sanft und gut mit dem Vogel umgehen, den es zu dir bringt, und du darfst ihn nie für die Jagd benutzen. Beobachte sie, solange du willst, aber wenn du genug hast, dann lege das Amulett weg, damit sie davonfliegen können.«
»Das verspreche ich«, sagte Illia feierlich. »Dankeschön, Onkel.«
»Und jetzt wird es Zeit, daß deine Schwalbe wegfliegt und sich etwas zum Abendessen sucht«, sagte ihre Mutter liebevoll, »und Zeit für dich, mein kleines Vögelchen, ins Bett zu gehen.«
Nach einem letzten Kuß auf Seregils Wange ging Illia mit ihrer Mutter hinaus. Elsbet zog sich mit ihrem neuen Buch in eine ruhige Ecke zurück.
»Alec, ich wette, Beka möchte einen Blick auf deinen Schwarzen Bogen werfen, bevor es zu dunkel wird«, schlug Micum vor. »Laß dir von ihr dafür ihre Pferde zeigen.«
»Ich habe ein paar wirklich schöne«, sagte Beka stolz, als er seinen Bogen und den Köcher holte. »Reines Aurënfaieblut und ein paar Mischlinge. Du mußt sie unbedingt reiten, während du hier bei uns bist.«
Micum wandte sich Seregil zu und zog eine Augenbraue hoch, als die beiden weg waren. »Er ist genau der richtige, um sie zu beschäftigen, während sie auf ihr Einberufungsgespräch wartet. Aber was soll ich ihm denn beibringen, das du nicht selbst könntest?«
Seregil zuckte die Achseln. »Du kennst mich doch. Ich habe keine Geduld mit Anfängern. Kann er mit dir und Beka am Ende dieser Woche zurückreiten?«
»Natürlich«, sagte Micum, der offensichtlich etwas witterte. »Ist in Rhíminee irgend etwas vorgefallen?«
Seregil zog den verräterischen Brief heraus, den Nysander abgefangen hatte. »Wie es scheint, ist Lord Seregil schließlich doch bei den Leranern in Ungnade gefallen. Ich muß einen Fälscher aufspüren.«
Micum überflog schnell den Brief. »Weiß Alec Bescheid?«
»Ja, und er ist nicht gerade glücklich darüber, daß ich ihn aus dem Weg haben will. Beschäftige ihn und mache für mich einen Schwertkämpfer aus ihm. Es ist das einzige, das ihm noch fehlt. Beim Licht, Micum, ich
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