Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
plötzlich wieder an den Tag gelegt hatte. Bevor er sie allerdings beruhigen konnte, wirbelte ein Bündel dunkler Zöpfe mit fliegendem Rock aus der Richtung der Küche heran. Er ließ die Satteltaschen fallen, nahm Illia in die Arme und erhielt einen schallenden Kuß auf die Wange.
»Onkel! Schau, Mutter, endlich ist Onkel Seregil gekommen!« rief sie und küßte ihn noch einmal. »Aber du darfst Vater nicht wieder mitnehmen, ja? Er hat mir versprochen, daß er mich morgen zum Reiten mitnimmt.« Seregil sah sie sehr von oben herab an. »Das ist aber eine herzliche Begrüßung!«
»Illia, hast du deine Manieren vergessen?« Kari legte ihren Spinnrocken weg. Sie hatte die gleichen dunklen Haare wie ihre Tochter und dazu ein sanftes, ovales Gesicht, zu dem ihr kurz angebundenes Benehmen gar nicht passen wollte. »Seregil ist nicht den ganzen Weg hierhergeritten, nur damit du wie eine Klette an ihm hängst.«
Unbeeindruckt spähte Illia über seine Schulter hinweg und musterte Alec. »Ist das der tapfere Junge, der Vater vor den Banditen rettete?«
»Das ist er allerdings«, antwortete Seregil, und er zog Alec mit seiner freien Hand nach vorn. »Alec ist der beste Bogenschütze auf der ganzen Welt, und er hat gerade für deine Mutter auf dem Weg nach hier zwei große Schwäne geschossen. Sie hängen draußen an seinem Sattel, falls eure Hunde sie nicht mittlerweile gefressen haben. Er ist gekommen, um sich von Beka und deinem Vater im Schwertkampf unterrichten zu lassen, aber ich bin sicher, daß er vor allem zwischen seinen Unterrichtsstunden gern mit dir spielen wird. Ihr könnt ihn eine Woche lang haben, wenn du mir versprichst, ihn nicht zu Tode zu quälen. Was meinst du dazu?« Seregil blickte über ihren Kopf hinweg Kari an und beantwortete ihren erleichterten Blick mit einem Augenzwinkern.
»Oh, sieht der aber gut aus!« rief Illia. Sie kletterte herab und nahm Alec an die Hand. »Du siehst fast genauso gut aus wie Onkel Seregil. Kannst du auch singen und Harfe spielen wie er?«
»Nun, singen kann ich«, gab Alec zu, als ihn das kleine Mädchen zum Feuer zog.
»Laß den armen Jungen doch erst mal zu Atem kommen, bevor du so auf ihn losgehst«, tadelte ihre Mutter. »Lauf zum Stall und hole deinen Vater und deine Schwestern. Los, lauf schon!« Mit einem letzten strahlenden Lächeln in Alecs Richtung huschte Illia weg.
»Kommt und setzt euch ans Feuer, ihr beiden«, sagte Kari und bedeutete den Frauen, ihnen Platz zu machen. »Arna, trage bitte für unsere Freunde etwas zu essen auf, und sieh zu, daß im Gästezimmer Feuer gemacht wird.« Die älteste unter ihren Bediensteten nickte und verschwand durch eine Seitentür. Die anderen Frauen setzten sich an einen kleineren Ofen weiter hinten im Raum. Kari wandte sich Alec zu und nahm seine Hände in die ihren.
»Sei willkommen in unserem Heim, Alec von Kerry«, sagte sie herzlich. »Micum hat uns von dem Hinterhalt im Wald von Folcwine erzählt. Ich stehe tief in deiner Schuld.«
»Er hat dasselbe für mich getan«, erwiderte Alec, der sich bei soviel Lob nicht wohl fühlte. In diesem Moment jedoch platzte Micum mit Illia auf den Schultern und einem älteren Mädchen im Schlepptau in den Raum hinein. In seinen wollenen Kniehosen und der gediegenen Lederweste wirkte er wie ein Landedelmann.
»Das ist ja eine schöne Überraschung!« rief er. »Die kleine Dohle hier behauptet, daß Alec einen richtigen Schwertmeister sucht.«
Er setzte Illia zu Boden und drückte Seregil und Alec die Hände. »Beka kommt, sobald sie den Stall gereinigt hat. Eine ihrer Stuten hat heute nachmittag ein Fohlen geworfen, es war eine ziemlich schwierige Geburt.« Er zog das ältere Mädchen zu sich heran und sagte: »Und dieses ruhige Geschöpf hier ist Elsbet, die Schöne der Familie.«
Elsbet berührte Alecs Hand kurz zum Gruß. Dunkles Haar rahmte ein Gesicht ein, das dem ihrer Mutter sehr ähnlich war – sanft und weich.
»Willkommen auf Watermead«, flüsterte sie, und ihre Hand bebte einen Augenblick lang in seiner. Sie errötete mindestens ebenso stark wie Alec und setzte sich daraufhin schnell zu ihrer Mutter.
»Ihr müßt durstig sein nach eurem Ritt«, sagte Kari und warf Seregil einen verschmitzten Blick zu. »Wie ich dich kenne, hast du die ganze Zeit über geredet. Hast du Lust, das neue Bier zu probieren? Ausnahmsweise halte sogar ich es für gut gelungen.«
Micum stupste Alec spielerisch in die Rippen, als sie hinausging. »Das ist das erste Mal, seit wir nach
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