Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
so etwas noch nie vorgekommen.«
»Es steckt mehr dahinter als das, und du weißt es«, sagte Seregil und trat vor einen kleinen Spiegel, um sich das Mal genauer anzusehen. Die Muster im Narbengewebe waren deutlicher zu sehen als je zuvor.
»Könnte Thero etwas damit zu tun haben?« wollte Seregil wissen. »Dieser Traum …«
»Sicherlich nicht!« verwarf Nysander und fuhr mit dem Finger über die schwieligen Stellen. »Er hätte es gewiß nicht übersehen, als er badete, und mich darüber informiert. Es muß geschehen sein, als ich den Wandel vollzogen habe. Ich werde es wieder verdecken.« Seregil packte Nysanders Handgelenk und hielt es fest.
»Was ist das für ein Mal?« fragte er und sah dem Magier dabei in die Augen. »Warum legst du so großen Wert darauf, es zu verbergen?«
Nysander machte keine Anstalten, seinen Arm zu befreien. »Kannst du dich an irgend etwas in diesen Alpträumen erinnern? An den mit dem Pferd ohne Kopf?«
»Nicht wirklich. Nur daß ich in Theros Körper steckte und das Auge in meiner Brust sah. Und ich flog. Bei der Liebe Illiors, Nysander, wirst du mir nun endlich sagen, worum es hier geht?«
Nysander blickte weg und sagte nichts.
Seregil ließ ihn los und schritt verärgert auf die Tür zu. »Werde ich nun den Rest meines Lebens mit diesem Ding verbringen und nichts darüber erfahren?«
»Lieber Junge, du solltest lieber beten, daß du nichts darüber erfährst.«
»Du weißt, daß mir Gebete dieser Art gar nicht liegen!« entgegnete Seregil heftig. Sein Ärger ließ ihn für einen Augenblick leichtsinnig werden. »Ich weiß ohnehin mehr, als du dir vorstellen kannst. Ich hätte es dir längst schon erzählt, wenn nicht diese Sache …«
Die Worte erstarben ihm auf den Lippen. Nysanders Gesicht war aschfahl geworden vor Zorn. Er sprach eine kurze Formel, und das Licht im Raum verdüsterte sich. Seregil wußte, daß Nysander den Raum magisch gegen jede Form des Eindringens versiegelt hatte.
»Bei deiner Ehre als Beobachter, du wirst mir nun alles berichten«, befahl Nysander, und er machte sich kaum die Mühe, die Wut, die er verspürte, zu unterdrücken.
»Es war in der Nacht, als Alec und ich das Orëska verließen«, begann Seregil, und er fühlte, wie sein Mund plötzlich trocken wurde. »Später in der Nacht ging ich zum Tempel Illiors.«
»Allein?«
»Natürlich.«
»Was hast du dort getan?«
Seregil bekam eine Gänsehaut. Er konnte den Ärger, den Nysander verspürte, fast greifen. Der Raum wurde noch dunkler, als würden die Lampen verlöschen. Er stählte sich und fuhr fort.
»Ich fertigte eine Zeichnung hiervon an.« Seregil deutete auf die Narbe.
»Ehe du sie mit dem Zauber belegtest, nahm ich einen Spiegel und kopierte das Muster so gut ich konnte. Im Tempel zeigte ich es Orphyria – Nysander, was ist denn?«
Nysander war noch grauer geworden. Er wankte auf einen Stuhl zu, ließ sich hineinsinken und vergrub das Gesicht in den Händen. »Beim Licht!« stöhnte er. »Ich hätte es wissen müssen. Nach allem, was ich sagte …«
»Du hast mir gar nichts erzählt!« gab Seregil heftig zurück, sein Ärger war stärker als die Furcht. »Selbst als ich fast starb, nachdem Micum vom Massaker im Dorf in den Sümpfen berichtete, sagtest du nichts! Was konnte ich denn machen?«
»Du sturer Narr!« Nysanders Blick war geradezu vernichtend. »Du hättest dich an meine Anweisung halten sollen. Meine Warnung! Erzähle weiter. Was sagte Orphyria?«
»Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, daher schickte sie mich zum Orakel. Während des Rituals hielt es die Zeichnung, die ich angefertigt hatte, in den Händen. Er sprach vom Verschlinger des Todes.«
Unvermittelt packte Nysander Seregils Handgelenk und zwang den jungen Mann vor sich auf die Knie, dabei starrte er ihm in die Augen. »Das sagte er? Was sonst noch? Erinnerst du dich an die genauen Worte?«
»Er sagte ›Tod‹, und wiederholte es. Leben im Tod. Der Verschlinger des Todes gebiert Monstren. Achte auf den Bewahrer! Achte auf die Vorhut und den Pfeil!«
»Das waren die exakten Worte?« rief Nysander aus. Sein Ärger war verflogen, statt dessen schimmerte etwas wie Hoffnung in seinem Blick.
»Darauf verwette ich mein Leben.«
»Erklärte er, was diese Worte bedeuteten? Der Wächter? Die Vorhut und der Pfeil?«
»Nein, aber ich erinnere mich, daß ich vermutete, er beziehe sich damit auf bestimmte Personen – vor allem der Wächter.«
Nysander gab Seregil frei und ließ sich mit einem trockenen
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