Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
sie hätten längst verbrannt werden müssen!« würgte er hervor.
»Die Totengräber-Gilde muß sie ein paar Tage hierbehalten, für den Fall, daß jemand sie sucht. Am schlimmsten sehen die aus den Abwasserkanälen aus. Du bleibst lieber bei den Pferden.«
Zwischen Erleichterung und Scham hin und her gerissen, sah Alec zu, wie Seregil wieder zurück ins Haus ging, um seine unangenehme Aufgabe zu erfüllen. Er ging mit Micum durch die Reihen der Aufgebahrten, sie sahen in aufgedunsene Gesichter und untersuchten die Kleidung, bis sie sicher waren, daß keiner der drei Gesuchten unter den Toten war. Sie wuschen sich die Hände in einem bereitstehenden Becken, das mit Essig gefüllt war, dann kehrten sie zurück zu Alec.
»Sieht so aus, als müßten wir weiter suchen«, gab Seregil mit finsterem Blick bekannt.
Das zweite Leichenhaus lag nicht weit entfernt vom Seemarkt. Alec sagte nichts, während des Rittes dorthin. Er lauschte dem gleichmäßigen Schlag der Pferdehufe, als sie durch die Schatten der Straße der Korngarbe galoppierten. Als sie ihr Ziel erreicht hatten, stand sein Entschluß fest. Er stieg mit den anderen ab.
»Warte«, sagte Seregil. Er verschwand durch den niederen Eingang und kehrte mit einem in Essig getränkten Lappen zurück. »Das hilft«, sagte er zu Alec und zeigte ihm, wie er ihn lose um Nase und Mund legen mußte.
Alec hielt sich den sauer riechenden Lappen vor das Gesicht und ging auf der Suche an etwa einem Dutzend Leichen vorbei. Die Luft war ungemütlich feucht, und übler Gestank stieg von den Drainagen auf, die in den Boden geschnitten waren.
»Den hier kenne ich«, rief Micum den anderen über den Raum hinweg zu. »Allerdings ist es keiner von unseren.«
Seregil gesellte sich zu ihm und warf einen Blick auf den Toten. »Gormus der Bettler. Armer alter Knabe – er muß über neunzig gewesen sein. Seine Tochter bettelt meist am Tyburn-Kreis. Ich lasse ihr Bescheid geben.«
Wieder fanden sie kein Zeichen von Teukros oder den anderen. Aufatmend kehrten sie an die frische Nachtluft zurück, dann ritten sie den Hafenweg hinunter durch das Labyrinth von Kais und Behausungen, die sich an der Westbiegung des Hafens ausbreiteten.
Seregil führte sie in die ärmlichste Gegend und zügelte sein Pferd vor einem baufällig wirkenden Leichenhaus.
Der Gestank schlug ihnen entgegen, noch ehe sie die Tür öffneten.
»Sakors Flamme!« krächzte Micum und drückte sich ein Essigtuch vor die Nase.
Alec folgte hastig seinem Beispiel. Auf das, was ihn hier erwartete, hatten ihn selbst die Erlebnisse des Abends nicht vorbereitet; sogar Seregil wirkte etwas blaß.
Über fünfzig Leichen lagen hier auf dem schmutzigen Boden, manche wohl erst seit kurzem, anderen faulte das Fleisch schon von den Knochen. Die Feuerschalen im Raum, die den üblen Gestank verbrennen sollten, brannten in faulig bläulichem Licht.
Eine gebückt gehende kleine Frau, die in das graue Hemd der Totengräber-Gilde gewandet war, humpelte ihnen entgegen. Am Arm trug sie einen Korb mit welkenden kleinen Blumensträußen.
»Ein Sträußchen, die Herren? Das macht die bittere Suche süßer.«
Seregil ließ ein paar Münzen in ihren Korb fallen. »Guten Abend alte Mutter. Vielleicht kannst du unsere Suche verkürzen. Ich suche nach drei Leuten, die am vergangenen Tag zu dir gekommen sein könnten. Ein junges Dienstmädchen mit dunklem Haar, ein Diener in mittleren Jahren, ebenfalls dunkel, und einen jungen Adligen mit blondem Schnurrbart.«
»Vielleicht habt Ihr Glück, Sir«, krächzte die alte Frau und hinkte auf eine Ecke des Raumes zu. »Ich habe die Frischen dort drüben. Ist das Euer Mädchen?«
Callia lag nackt zwischen einem ertrunkenen Fischer und einem jungen Galgenstrick mit durchgeschnittener Kehle. Ihre Augen waren offen, und sie wirkte auch im Tod noch besorgt.
»Das ist sie«, sagte Seregil.
»Es ist traurig«, seufzte Micum. Er hielt den Saum seines Mantels hoch und hockte sich neben das Mädchen. »Sie ist gewiß nicht älter als zwanzig. Siehst du ihre Handgelenke? Sie war gefesselt und auch geknebelt. Schau, die Mundwinkel sind gerötet.«
Alec zitterte vor Übelkeit, aber er zwang sich, hinzusehen. Die vergangenen Stunden kamen über ihn wie ein Alptraum, und er fühlte sich elend.
Vorne war der Körper unversehrt, abgesehen von den wunden Stellen an den Handgelenken und an den Mundwinkeln. Als sie das Mädchen jedoch umdrehten, fanden sie eine kleine Wunde zwischen den Rippen, genau links neben der
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