Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
so wichtigen Punkt übersehen?« rief Nysander aus. »Die Mitglieder beider Haushalte werden festgehalten. Sie sitzen im Gefängnis des Roten Turmes. Kommt!«
»Gesegnet sei der Tag, an dem ich dich aus diesem Kerker holte«, lachte Seregil und legte Alec einen Arm um die Schulter, als sie auf dem Weg zur Tür waren.
Nysander hatte die von der Königin verliehene Autorität, die Gefangenen zu befragen, und da Seregil noch immer in Theros Gestalt war, hinderte auch ihn niemand daran, seinen Meister zu begleiten.
Alec und Micum überließen sie ihrer Aufgabe und gingen, um nachzusehen, wie es dem richtigen Thero ging.
Glücklicherweise war der Gefängniswächter derselbe, der Alec auf seinem ersten Besuch im Turm begegnet war.
»Der arme Bursche!« Der Wächter schüttelte bedauernd den Kopf. »Das Gefängnis tut ihm nicht gut, Sir Alec. Am ersten Tag war er freundlich, ein wahrer Edelmann. Aber seither ist er kaum wiederzuerkennen. In den letzten Tagen sprach er kaum ein Wort, und wenn er etwas sagte, war es nichts Freundliches.«
Als sie an der Zelle angekommen waren, bezog er am Ende des Korridors Posten. »Besuchsregeln wie gehabt, junger Herr. Nicht berühren.«
Alec spähte durch das Gitter. »Seregil?«
»Alec?«
»Ja, und Micum.«
Ein blasses Gesicht erschien am Gitter und Alec verspürte wieder das bekannte Gefühl, daß etwas nicht zusammenpaßte.
Das Gesicht und die Stimme waren die Seregils – der Gesichtsausdruck und der Klang der Stimme aber paßten nicht dazu. Alles in allem wurde Alec an Aren Windover erinnert.
»Wie geht es dir?« fragte Micum, der mit dem Rücken zum Wächter stand.
»Es ist eine höchst ungewöhnliche Erfahrung«, erwiderte Thero trocken. »Sie ließen mich die meiste Zeit in Ruhe, und Nysander schickte mir einige Bücher.«
»Hast du von Barien gehört?« flüsterte Alec.
»Ja. Offengestanden bin ich mir nicht sicher …«
»Gute Neuigkeiten! Gute Neuigkeiten, Lord Seregil!« unterbrach der Wachmann und kam mit einem Gerichtsdiener auf sie zu.
Thero preßte das Gesicht gegen die Gitter. »Werde ich entlassen?«
»Ja, Mylord!« Der Wachmann öffnete mit großer Geste die Zellentür.
Der Gerichtsdiener stellte sich in Positur, entrollte ein Pergament und intonierte: »Lord Seregil í Korit Solun Meringil Bôkthersa, jetzt von Rhíminee, die Anklage des Verrats, die gegen Euch ausgesprochen wurde, wird hiermit aufgehoben. Kein Verdacht lastet mehr auf Eurem Namen. Im Namen der Königin, tretet vor und geht als freier Mann.«
»Ich kann Euch gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, Sir«, sagte der Wachmann, als Thero blinzelnd in den hellen Korridor trat. »Es wäre hart gewesen, Euch dem Inquisitor zu übergeben, wie es zunächst verlangt wurde. Verdammt hart, Sir.«
»Härter für mich als für dich«, erwiderte Thero trocken und ging, ohne sich noch einmal umzusehen.
Der Wachmann warf Alec einen Blick zu und zuckte die Schultern. »Seht Ihr, was ich meine, Sir?«
Alec und Micum holten Thero an der Treppe ein.
»Das hättest du etwas weniger hart sagen können«, zischte Micum ärgerlich. »Schließlich bist du noch Lord Seregil.«
Thero warf ihm einen düsteren Blick zu. »Nach zwei ganzen Tagen mit Ratten und Platitüden wäre wohl auch ein Lord Seregil weniger wohlgesonnen.«
Um den Anschein zu wahren, gingen sie direkt zur Straße des Rades. Runcer öffnete die Tür, und wie üblich ließ er sich nicht anmerken, ob er überrascht war.
»Wir wurden informiert, Mylord«, sagte er ernst. »Euer Bad ist bereit, wollt Ihr Euch nach oben begeben?«
»Danke, Runcer, das werde ich«, erwiderte Thero und mühte sich, Seregil ähnlich zu wirken. »Gib mir sogleich Bescheid, wenn Nysander eintrifft.«
Runcers faltiges Gesicht verriet wenig, als er Thero nachsah, der die Treppe hinaufstieg, aber Alec glaubte ein Stirnrunzeln wahrgenommen zu haben, als der alte Diener sich auf den Weg in die Küche machte.
Als sie vom Turm zurückkamen, fanden Seregil und Nysander die andern, die am Tisch in Seregils Schlafgemach ein warmes Mahl einnahmen.
Zum erstenmal seit dem Körpertausch sahen sich die beiden und betrachteten sich gegenseitig schweigend.
Seregil umrundete langsam sein Gegenüber, überrascht, sein eigenes Gesicht zu sehen, das ihn mit Theros Mimik ansah.
»Sag etwas«, forderte er Thero plötzlich auf. »Ich möchte hören, wie ich klinge, wenn jemand anderes spricht.«
»Diese Kehle hat in letzter Zeit weitaus weniger gesprochen als üblich«,
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