Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
ich nicht müßte. Überall in der Stadt weiß man Bescheid, und man schreibt schon Balladen über mich; der arme Heimatlose, unrecht in den Kerker geworfen, und all diesen Unfug. Daher muß ich gehen. Schließlich hat der arme Knabe uns allen den Gefallen getan, sich selbst umzubringen. Wenn er noch am Leben wäre, hätte auch ich Alpträume.«
Die Hinrichtungsstätte lag einige Meilen nördlich der Stadt. Sie trug den Namen ›Hügel der Verräter‹. Eine große Plattform beherrschte die kahle Erhebung. Sie überblickte einen einsamen Streifen der Straße nach Cirna, der Galgen und der tief verschrammte Richtblock zeugten von der unerbittlichen Rechtsprechung der Königin.
Seregil ritt unter tief hängenden Wolken, er zog sich den Hut fester ins Gesicht und verfluchte still die leidige Pflicht, die ihn zwang, zu solcher Stunde unterwegs zu sein.
In den nördlichen Territorien herrschte seit einem Mond tiefer Winter, aber jetzt erst hatte das kalte Wetter hier an der Küste Einzug gehalten. Eine zarte Schneedecke lag nach Sonnenaufgang auf den Feldern; zu seiner Rechten konnte er in der Ferne die Bergspitzen weiß leuchten sehen.
An der Hinrichtungsstätte hatte sich bereits eine beachtliche Menge eingefunden. Der Adel saß dicht beisammen auf Pferden, ein wenig, aber nicht zu deutlich, abseits der Menge der Nichtstuer, Taugenichtse und Vergnügungssüchtigen.
Letztere standen in losem Kreise um die Plattform. Lachend und scherzend, als wäre es ein Markttag, verspeisten sie ihr bescheidenes Mahl im Schatten des Galgens und drängten einander, sich so nahe vorzuwagen, um mit Blut bespritzt zu werden.
Seregil beachtete nicht die plötzlichen aufgeregten Rufe der Menge, die ihn hatte kommen sehen. Er ritt ruhig weiter zu Nysander und Thero, die am Rande der Gruppe des Adels standen.
Thero hob eine Braue. »Alec ist nicht mitgekommen?«
Sogleich wappnete sich Seregil innerlich vor einem versteckten Seitenhieb des jungen Zauberers.
»Das ist vielleicht auch besser so«, stellte Nysander ruhig fest. »Dies hier ist ein Aspekt der skalanischen Gesellschaft, auf den ich nicht besonders stolz bin. Leider dient er nur allzu gut der Abschreckung.«
An diesem Morgen wirkte Nysander besorgter denn je. Trotz der unwiderlegbaren Beweise fiel es dem Magier schwer, an Bariens Untreue zu glauben. Seregil kannte ihn gut genug, daß dies nicht bloße Enttäuschung war; Nysander machte sich als persönlicher Freund der Königin und des Vizeregenten den Vorwurf, ein Komplott solchen Ausmaßes nicht einmal erahnt zu haben. Unglücklicherweise war dies weder der Ort noch die Zeit, über solche Dinge zu sprechen.
Seregil gab sich ernst und entzog sich höflich den Versuchen einiger Adliger, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Statt dessen lauschte er mit gewisser Häme den Spekulationen, über die man in der Nähe munkelte.
Lords und Ladies, die noch vor kurzem an der Tafel des Vizeregenten gesessen hatten, sprachen nun klug über verdächtige Umstände, die ihnen erst jetzt im rechten Licht erschienen, und über Wendungen in Gesprächen, deren Zweideutigkeit nun erst offensichtlich wäre.
Die Menge wurde zunehmend unruhiger, als der dumpfe Himmel schließlich gegen Mittag aufhellte. Die blau uniformierten Reiter der Stadtwache reagierten darauf, indem sie ihre Präsenz verdeutlichten.
Frierend und übel gelaunt verlagerte Seregil sein Gewicht im Sattel. »Der Zug sollte nun schon zu sehen sein.«
»Er hat recht. Soll ich auf der magischen Ebene nach ihnen suchen, Nysander?« bot Thero an.
»Vielleicht sollten wir …« Der ältere Zauberer hielt inne, beschattete die Augen und blickte die Straße hinunter in Richtung Stadt. »Nein, ich denke, das wird nicht nötig sein.«
Ein einzelner Reiter war dort zu sehen, der in hartem Galopp auf sie zu kam, sie konnten sehen, daß er die Farben des königlichen Herolds trug.
»Verdammt, da kommt einer und verdirbt uns den Spaß!« rief jemand aus der Menge.
Der Rufer schien die Lage richtig eingeschätzt zu haben, murrend teilten sich die Versammelten und ließen den Reiter durch. Der Herold stieg ab und begab sich auf die Plattform. Er nahm seine Schriftrolle zur Hand und begann mit lauter, klarer Stimme zu verkünden. »Auf Befehl der Königin wird die rituelle Hinrichtung Barien í Zhals vertagt. Es findet heute keine Vierteilung statt. Ehret die Gnade der Königin!«
Pfiffe und Spottrufe ertönten aus den Reihen der Schaulustigen, aber der Großteil des Adels wendete
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