Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
nach keinem erkennbaren System abgelegt, abgesehen von einer lockeren chronologischen Ordnung. Sie entrollten Pergamente und verglichen Daten, dabei engten sie die Suche auf einige wenige vielversprechende Regale ein. Staubwolken umgaben sie, als sie sich ihren Weg durch einen Stapel nach dem anderen voller alter, vergilbter Dokumente niesten.
Dokumente, die an Bord eines vor Anker schaukelnden Schiffes geschrieben wurden, waren nicht immer einfach zu lesen – das mußte vor allem Alec feststellen, der sich beim Lesen ohnehin noch recht schwertat. Er kaute auf der Unterlippe und arbeitete sich durch die hingekritzelten Namen: Hund, Drachenflügel, Zwei Brüder, Lady Rygel, Silberstern, Coriola, Seestern, Zaunkönig …
Er war so beschäftigt, die verschiedenen Handschriften zu entziffern, daß er beinahe das Dokument zur Seite legte, auf dem in verwischter Tinte ›Weißer Hirsch‹ zu lesen war.
»Hier, ich habe es gefunden!« rief er triumphierend aus.
Seregil nieste erneut und rieb seine Nase am Ärmel seines Hemds. »Ich auch. Die Hirsch war ein Kauffahrer, der zu beiden Seiten des Kanals die Küste befuhr. Das bedeutet, daß vermutlich mehrere Manifeste über diesen Zeitraum vorliegen müssen. Sieh nach bis über den Zeitraum hinaus, an dem sie als verschollen galt. Wir dürfen nichts übersehen.«
Sie fanden insgesamt acht Dokumente und legten sie ausgebreitet aus in der Reihenfolge der Ausstellung.
»Das habe ich befürchtet«, murmelte Seregil, als er sie las. »Die Hirsch fuhr meist regelmäßigen Liniendienst. Hier – verschiedene Frachten zu diesen drei kleinen Orten im Westen, und sie brachte Ladung mit zurück – Lederwaren, Horn, Silberwaren. Die Fahrten in den Osten schienen meist den Minen an der Nordküste der Inneren See gegolten zu haben: Werkzeug und Proviant, Öl, Tuch und Medikamente. Hier ist es dasselbe, und hier auch.«
»Was ist mit den außerplanmäßigen Fahrten?« fragte Alec und sah ihm dabei über die Schulter.
»Das ist eine gute Frage. Hier sind einige Einträge. Geflügel nach Myl, Wein nach Nakos, Seide und eine Ladung Duftwachs. Drei große Wandbehänge für eine Lady Vera in Areus, einhundert Ballen Wollgarn …«
»Von alledem kann man nichts mit einer Ladung schwerer Goldbaps verwechseln.«
»Richtig, und ich vermute, daß unsere leranischen Freunde schlau genug waren, ihr Gold irgendwo hineinzustecken, wo es wenig Aufmerksamkeit erregt. Hier sind Eisenwaren, Werkzeuge, Baumstämme …«
»Das ist keine große Hilfe«, sagte Alec. »Aber wie kann man nach drei Jahren noch herausfinden, welche Ladung das war? Das ist doch unmöglich!«
»Vermutlich.« Seregil ging zum Fenster, blickte hinaus über den Hafen, auf den sich der Abend senkte, dann nieste er erneut. »Bei Bilairy! Es ist kein Wunder, daß wir nicht mehr klar denken können! Steck diese Papiere ein, Alec. Wir brauchen frische Luft. Wir gehen eine Weile spazieren, um die Köpfe wieder klar zu bekommen, und dann gönnen wir unseren Kehlen einen großen Krug Bier aus Cirna!«
Es wurde rasch dunkel im Schatten der Klippen, aber der zunehmende Mond erhellte ihren Weg, als sie durch die gewundenen Gassen hinter den Docks zogen. Seregil war in Gedanken versunken, daher gingen sie etwa eine Stunde schweigend nebeneinander her. Schließlich gelangten sie an einen Platz, von dem aus sie einen guten Blick auf den Hafen unter ihnen hatten.
Die großen Signalfeuer loderten auf den riesigen Säulen, und ihr Licht spiegelte sich rötlich zusammen mit dem Schein der blassen Sterne im dunklen Wasser der Bucht.
»Hier sind wir richtig«, gab Seregil bekannt und führte Alec in eine Taverne in der Nähe des Platzes.
Die Taverne war gut besucht, und es herrschte angenehm gedämpftes Licht. Sie holten sich Bier an der Theke und trugen die Krüge durch den verräucherten Raum zu einem Tisch in der hinteren Ecke des Raumes. Seregil ging noch einmal die Manifeste durch und seufzte.
»Auf dieses hier kann ich mir gar keinen Reim machen, Alec.« Er nahm einen tiefen Schluck und bückte nachdenklich auf das Manifest. »Im Grunde haben wir auch nicht wirklich erwartet, etwas zu finden. Aber nun haben wir die verdammten Dokumente direkt vor unseren Augen und sind nicht in der Lage, ihnen die Wahrheit abzuringen. Das ist noch schlimmer, als gar nichts zu finden!«
Alec beugte sich über die Blätter. »Du glaubst wirklich, daß dort ein Hinweis stecken könnte?«
»Wenn wir hier etwas herausfinden können, möchte ich es
Weitere Kostenlose Bücher