Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
den Blick auf das Gespann von Eseln vor, während er versuchte, so gut er konnte nicht daran zu denken, was unter ihm war.
»Siehst du, es ist völlig sicher«, versicherte ihm Seregil und ritt dicht an seiner Seite. »So fest wie die Straße über Land.«
Alec brachte ein steifes Nicken zustande. Von weit unter ihnen wehte das Geräusch krängender Ruder und Seile heran, Stimmen von Seeleuten klangen wie die Stimmen flüsternder Geister.
»Von hier aus hat man einen guten Blick auf die Westbrücke«, sagte Seregil und lenkte Alecs Aufmerksamkeit auf die linke Seite der Brücke.
Alec sah hin und fühlte wie sein Magen schwach wurde. Die andere Brücke wirkte über die Entfernung hinweg wie ein Kinderspielzeug aus trockenen Zweigen, ein zerbrechliches Spielzeug über einer schwindelerregend tiefen Schlucht. Er schloß die Augen und verdrängte das innere Bild der unter ihm einstürzenden Brücke.
»Wie wurden die Brücken gebaut?« staunte er.
»Diese alten Baumeister und Magier wußten im voraus zu planen. Sie errichteten zunächst die Brücken und schufen danach den Durchbruch.«
Am anderen Ende der Brücke angelangt, entspannte Alec seine schmerzenden Finger und ließ einen Seufzer der Erleichterung vernehmen.
Eine Bergstraße führte über hügeliges Gelände zum Hafen hinunter. Cirna war eine verwirrende Stadt aus schachtelförmigen, dicht beieinander stehenden Gebäuden, die ein Labyrinth aus schmalen Straßen bildeten. Mancherorts waren sie so steil, daß Reiter, die abwärts ritten, Mühe hatten, nicht vornüber zu fallen. Die Einwohner zogen es offensichtlich vor, zu Fuß zu gehen, denn viele Teile der Stadt waren nur so zugänglich.
Alec hielt sich hinten an seinem Sattel fest und blickte über die Bucht, dort entdeckte er die Säulen Astellus’ und Sakors, das erste, das er bei seiner ersten Ankunft in Skala gesehen hatte. Nun lagen weitaus weniger Schiffe vor Anker als damals. Die Winterstürme tobten bereits, und nur die wetterfestesten Küstenboote waren noch unterwegs.
Als sie endlich das Zollhaus am Hafen erreicht hatten, waren Alec und Seregil froh, wieder ebenen Boden unter den Füßen zu haben. Sie betraten das weiß getünchte Gebäude und fanden dort an einem Arbeitstisch, der überhäuft war mit Dokumenten, eine Frau mit von frischer Luft rot getönten Wangen und Stiefeln, an denen das Salzwasser weiße Ränder hinterlassen hatte.
»Guten Tag«, grüßte sie, als sie einem Dokument ein Wachssiegel aufdrückte. »Ich bin Katya, die Hafenmeisterin. Brauchen die Herren Hilfe?«
»Guten Tag«, erwiderte Seregil. »Ich bin Myrus, Kaufmann aus Rhíminee, und das ist mein Bruder, Aisander. Wir sind auf der Suche nach einer Schiffsladung, die vor drei Jahren verlorenging.«
Die Frau schüttelte den Kopf, sie wirkte skeptisch. »Da habt Ihr Euch viel vorgenommen. Ist Euch klar, wie viele Schiffe hier während einer Saison anlegen?«
»Wir haben den Namen des Schiffes und den Monat, in dem sie hier ankam, falls das weiterhilft«, sagte Alec. »Es war die Weißer Hirsch, ein Kauffahrer, ein Rahsegler der Tyremian-Linie, die in Cirna registriert ist. Sie muß hier Anfang Erasin angedockt haben.«
»Ah, das ist zumindest ein Anfang.« Sie öffnete eine Tür, die in einen Raum führte, der bis unter die Decke mit Regalen voller Schriftrollen vollgepfropft war.
»Wenn wir das Ladungsverzeichnis noch haben, dann ist es wohl hier irgendwo. An und für sich wären so alte Dokumente längst aussortiert worden, aber der alte Hafenmeister starb plötzlich, und ich bin noch nicht dazu gekommen, hier Ordnung zu schaffen.«
Am hinteren Ende des Raumes zog sie wahllos eines der Dokumente hervor. Staub wirbelte auf und brachte die beiden Männer zum Niesen.
»Öffnet das Fenster, junger Herr, ehe wir hier ersticken«, hustete Katya und fuhr sich über die Nase.
Alec schob die Läden auf. Sie schüttelte die Rolle aus und hielt sie gegen das Licht.
»Hier seht Ihr, wie sie aufgebaut sind, meine Herren. Ganz oben ist der Name des Schiffes und des Kapitäns vermerkt, danach folgt das Datum, an dem es anlegte, und eine detaillierte Liste der Ladung, die es löschte und lud. Die Siegel darunter sind die des Kapitäns des Schiffes und der respektiven Kaufleute. Das große Siegel an der rechten unteren Ecke ist das des Hafenmeisters. Ich überlasse Euch Eurer Suche. Denkt daran, das Fenster zu schließen, wenn ihr geht, und gebt die Dokumente dorthin zurück, wo Ihr sie gefunden habt.«
Die Dokumente waren
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