Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
…«
»Nein, es ist schon in Ordnung. Entschuldige dich nicht dafür, daß du die Wahrheit sagst.« Er nahm den Blick nicht von Scrubs Rücken und seufzte ausgiebig. »Es war anders, als ich dich traf. Du warst einfach jemand, der Hilfe brauchte und mir vielleicht nützlich sein konnte. Erst nach Wolde war ich mir sicher, daß ich dich in den Süden mitnehmen wollte.«
»Nach Wolde!« Verärgert starrte Alec ihn an. »Du hast mich belogen? Alles, was du mir auf der Ebene erzähltest, über Skala und daß ich ein Barde werden könnte?«
Seregil zuckte mit den Schultern, ließ aber den Blick nach wie vor gesenkt. »Ich weiß nicht, vermutlich. Es erschien mir zu dem Zeitpunkt richtig. Aber erst nach dem Einbruch wußte ich, wie gut geeignet du warst.«
»Was hättest du getan, wenn ich mich nicht als nützlich erwiesen hätte?«
»Ich hätte dich irgendwo zurückgelassen mit Geld in deiner Tasche, dann wäre ich verschwunden. Das habe ich oft genug zuvor getan mit Leuten, denen ich geholfen habe. Aber du warst anders, deshalb tat ich es nicht.«
Als sich ihre Augen trafen, verspürte Alec ein seltsames Gefühl der Zugehörigkeit; ihm war, als hätte er einen ordentlichen Schluck Branntwein getrunken, es war, als brannte Feuer in seinem Bauch, und das Feuer breitete sich in seinem ganzen Körper aus.
»Nun ja, anfangs belog ich dich«, sagte Seregil. »Überleg mal, wie viele Fremde du belogen hast, seit du mit mir zusammen bist. Das bringt unsere Art von Arbeit mit sich. Seit Wolde – das schwöre ich – bin ich dir gegenüber ehrlich gewesen. Ich wollte dir auch mehr erzählen, aber dann kam die Krankheit.« Er hielt inne. »Ich bezweifle, daß ich an deiner Stelle ebenso treu gewesen wäre. Wie dem auch sei, nach Wolde und dem Hinterhalt im Folcwine-Wald begann ich in dir einen Freund zu sehen, der erste Freund, seit langem. Ich ging davon aus, daß du es verstanden hättest, und für diese Annahme bitte ich dich um Verzeihung.«
»Dafür gibt es keinen Anlaß«, murmelte Alec peinlich berührt.
»Doch, das glaube ich schon. Verdammt, Alec du bist für mich ebenso geheimnisvoll, wie ich vermutlich dir erscheinen muß. Ich vergesse stets, wie jung du bist und wie verschieden wir sind. Micum und ich waren fast gleich alt, als wir uns kennenlernten. Wir sahen die Welt mit denselben Augen. Und Nysander! Er schien stets zu verstehen, was ich dachte, noch ehe ich selbst es verstand. Bei dir ist es so anders! Ich poltere durch die Welt, und immer wieder scheint es damit zu enden, daß ich dich verletze, ohne es zu merken.«
»Das ist es nicht«, murmelte Alec, den Seregils plötzliche Offenheit berührte. »Es ist nur, daß du mir manchmal – es ist, als würdest du mir nicht vertrauen.«
Seregil stieß ein wehmütiges Lachen aus. »Ah, Alec! Rei phöril tös tókun meh brithir, vrí sh ›ruit‹ ya.«
»Was ist das?«
Seregil streckte Alec seinen Dolch entgegen, mit der Spitze gegen sich gerichtet. »›Auch wenn du mir eine blanke Klinge entgegenstreckst, werde ich nicht zurückschrecken‹«, übersetzte er. »Es ist ein feierlicher Schwur, den ich dir hiermit mit Inbrunst leiste. Du kannst zustoßen, wenn du willst.«
»Denkst du dir solche Dinge aus?«
»Nein, das ist ernst, und ich würde zehn weitere ebenso feierliche Eide leisten, um dich davon zu überzeugen, daß es mir leid tut.«
»Bei der Gnade des Schöpfers, Seregil, erzähle mir etwas von der Straße der Räder!«
»Nun gut, die Straße der Räder.« Seregil steckte den Dolch zurück in den Stiefel. »Alles begann, als ich mich als ungeeignet erwies, Nysanders Schüler zu sein. Ich rannte fort und führte einige Jahre ein ungeordnetes Leben. In dieser Zeit lernte ich alles, was ein guter Dieb wissen muß. Als ich zurückkehrte, fand ich heraus, daß ich recht gut leben konnte, wenn ich die Intrigen des skalanischen Adels zu meinem Geschäft machte. Ich mußte mir selbst einen gesellschaftlichen Rahmen geben, und das erwies sich als nicht allzu schwierig. Meine vielseitige Vergangenheit, meine verwandtschaftliche Beziehung zum Hof, die Neuigkeit, daß ich Aurënfaie war, meine neu erworbenen Fähigkeiten als Dieb und meine generelle Neugierde …« Er hob die Hände und verzog lächelnd das Gesicht. »All das sicherte mir meinen Erfolg in der Gesellschaft von Rhíminee. Lord Seregil schlüpfte in seine Rolle als geläuterter bekehrter Exilant und erwies sich bald als geduldiger Zuhörer, verläßlich und spendabel, ein Prahlhans, der
Weitere Kostenlose Bücher