Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
daß ihr darin verstrickt werden würdet.«
Seregil grinste ihn verdrießlich an. »Weißt du, ich habe den Großteil meines Lebens damit verbracht, Legenden zu lauschen oder sie zu erzählen. Es dürfte eine interessante Erfahrung werden, selbst Teil einer Legende zu sein. Ich hoffe nur, die Barden, die sie einst erzählen, können sie so beenden: ›Und danach lebten die Vier noch viele Jahre in allen Ehren.‹«
»Das hoffe ich auch, mein Junge. Das hoffe ich wirklich. Denk dir doch bitte eine Entschuldigung für mich aus, ja? Ich würde gern noch eine Weile hier sitzen bleiben.«
Stille umgab Nysander, nachdem Seregil gegangen war. Er legte die Hände vor sich auf die Knie, entspannte sich auf dem Stuhl und lauschte dem Klang seines Atems und seines Herzens, bis alles andere aus seinem Bewußtsein verschwand. Dann öffnete er sich langsam den unsichtbaren Strömen des Vorwissens und dachte an die Gesichter seiner drei auserwählten Kameraden, um die Kräfte herbeizubeschwören, nach denen er suchte. Wabernd tauchten graue Bilder vor seinem geistigen Auge auf, eine verworrene Mischung aus Werde/Könnte/Sollte und Vorstellung. Wie sollte er die Krumen der Wahrheit aus einer noch ungewissen Zukunft herauspicken -
- die Hände des Tikárie Megraesh, der Ikone seiner Träume und Visionen, öffnen sich vor ihm. Stimmen dringen leise durch die Düsternis, brüllend, tobend, wehklagend. Er hört das Klirren von Waffen, die Schreie von Menschen -
Dann, gleich einem Donnerschlag aus heiterem Himmel, umfängt ihn die Vision einer schwarzen, von einem schmalen, weißen Feuernimbus umrandeten Scheibe. Sie scheint ihn anzufunkeln, wie ein anklagendes Auge.
Ein vertrauter Duft stieg Seregil in die Nase, als er sich der Tür zum Arbeitszimmer näherte. Als er sie öffnete, sah er Ylinestra neben Magyana sitzen. Ein kurzer Blick offenbarte ein interessantes Bild rings um den Frühstückstisch. Ylinestra wirkte wie immer – und zweifellos absichtlich – atemberaubend, während sie mit Magyana plauderte; das leuchtend schwarze, zu einem losen Zopf geflochtene Haar hing über die Schulter eines wallenden Kleides.
Magyana schien sich zwar bereitwillig mit ihr zu unterhalten, doch Seregil vermeinte, um ihre Augen eine gewisse Abscheu zu erkennen.
Feeya gab sich weniger Mühe, ihre Abneigung gegen die Zauberin zu verschleiern. Sie hatte an das andere Ende des Tisches gewechselt und beäugte Ylinestra mit unverhohlenem Mißfallen.
Thero schien hin und her gerissen zwischen Scham und Lust. Alec stand in sicherer Entfernung von seiner einstigen Verführerin und unterhielt sich angeregt mit Hwerlu.
Alle Augen hefteten sich auf Seregil, als er eintrat.
»Ah, da ist er ja«, sagte Magyana. »Aber wo ist Nysander?«
»Oh, irgend etwas hat ihn unten im Arbeitszimmer abgelenkt«, gab Seregil zurück.
»Wie bedauerlich«, seufzte Ylinestra. »Ich hatte gehofft, ich könnte ihn eine Weile hinaus in den Garten entführen.«
»Du weißt doch, wie er ist. Wahrscheinlich bleibt er länger unten.«
»Ich richte ihm aus, daß du nach ihm gesucht hast«, erbot sich Thero steif. »In der Zwischenzeit könnte ich ja …«
»Ah, vielleicht ein andermal«, unterbrach ihn Ylinestra unbeschwert und trippelte auf die Tür zu.
Nachdem sie gegangen war, säuselte Feeya Hwerlu etwas zu, das ihm ein Lachen entlockte.
»Sie sagt, vom Geruch dieser Frau kriegt sie Bauchweh«, übersetzte er.
»Ich auch«, pflichtete Magyana ihr bei und lächelte schelmisch. »Obwohl ich zu behaupten wage, daß die meisten Männer ihren Duft höchst verführerisch finden. Sie muß Nysander vermissen. Das ist schon das dritte Mal in dieser Woche, daß sie nach ihm sucht. Stimmt’s, Thero?«
»Ich hab’ nicht mitgezählt«, erwiderte der junge Zauberer und zuckte mit den Schultern. »Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigt, ich habe selber noch Arbeit, mit der ich besser anfangen sollte.«
Alec kicherte, als er und Seregil wieder zum Jungen Hahn aufbrachen. »Ich wette mit dir um eine Mark, daß er wartet, bis alle weg sind und ihr dann nachrennt.«
»Ich wäre schon blöd, wenn ich darauf einginge«, meinte Seregil und grinste verschmitzt. »Du könntest gar nicht verlieren; wenn ein kalter Fisch wie Thero sich endlich verliebt, macht er einen völligen Narren aus sich.«
»Weißt du, ich glaube, du gehst zu hart mit ihm ins Gericht.«
»Ach ja?«
Alec zuckte mit den Schultern. »Zuerst mochte ich ihn auch nicht besonders, aber jetzt erscheint
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