Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
Geschenk dar, das niemand von uns missen möchte.«
»Es klingt vielleicht hartherzig, aber hast du erst ein, zwei Generationen überlebt, wird es einfacher, solchen Gefühlen mit einem gewissen Abstand zu begegnen«, fügte Magyana hinzu. »Das hat nichts damit zu tun, daß du die Menschen weniger liebst; du lernst nur, den ewigen Kreislauf des Lebens zu respektieren. Trotzdem danke ich Illior, daß ihr beide euch gefunden habt.«
»Ich auch«, gab Alec aus dem Bauch heraus zurück. Er errötete ein wenig, vielleicht, weil er sich für dieses Geständnis schämte. »Ich wünschte nur, ich hätte mit meinem Vater darüber reden können, und über meine Mutter. Seregil hat sich zwar eine durchaus einleuchtende Theorie darüber zusammengestrickt, was zwischen den beiden vorgefallen sein muß, aber die wahre Geschichte werde ich nun nie erfahren.«
»Schon möglich«, räumte Nysander ein. »Aber du kannst sie in Ehren halten, indem du Achtung vor dem Leben zeigst, das sie dir geschenkt haben.«
»Da wir gerade von deinen Eltern reden, Alec: Erzähl doch Nysander von dem Alptraum, der dich seit Rythels Tod plagt«, warf Seregil ein, da er spürte, daß dies die Gelegenheit war, auf die er gehofft hatte.
»Tatsächlich?« Fragend zog Nysander eine Augenbraue hoch und schaute den Jungen an.
»Kannst du den Traum beschreiben?« erkundigte sich Magyana. »Träume erweisen sich mitunter als wundersame Werkzeuge, und solche, die öfter wiederkehren, haben fast immer etwas zu bedeuten.«
Seregil beobachtete Nysander verstohlen, während Alec die Einzelheiten des Alptraums schilderte; er kannte den alten Magier zu gut, um das unverkennbar lodernde Interesse hinter der Fassade nachdenklicher Aufmerksamkeit zu übersehen.
»Und damit endet der Traum immer, und es ist das Schlimmste daran«, schloß Alec seinen Bericht ab. Ungeachtet der hellen Morgensonne, deren Licht durch die Glaskuppel über ihnen flutete, rutschte er unbehaglich auf dem Sitz hin und her, als er das letzte Bild beschrieb.
Magyana nickte bedächtig. »Ich nehme an, gewaltvolle Ereignisse können andere, schmerzliche Erinnerungen aufwühlen. Obwohl dein Vater nicht durch Gewalt, sondern durch die Schwindsucht ums Leben kam, muß es eine Zeit grausamer Angst und gräßlichen Schmerzes für dich gewesen sein.« Alec nickte nur, aber Seregil erkannte die Pein hinter der stoischen Miene.
»Ja, und gepaart mit der Bestürzung, die das plötzliche Wissen um deine wahre Herkunft ausgelöst haben muß, könnten daraus ohne weiteres solche Bilder in deinem Kopf entstehen«, schlug Nysander in dieselbe Kerbe, obschon der Blick, den er Seregil zuwarf, erahnen ließ, daß er in Wirklichkeit etwas anderes vermutete. »Ich würde mir wegen der Träume keine allzu großen Sorgen machen, mein lieber Junge. Gewiß hören sie mit der Zeit auf.«
»Das hoffe ich«, seufzte Alec. »Allmählich fürchte ich mich schon davor einzuschlafen.«
»Nysander, hast du noch dieses Meditationsbuch von Reli ä Noliena?« fragte Seregil. »Ihre Philosophie könnte Alec jetzt nützlich sein. Ich glaube, ich habe es irgendwo in den Regalen im Wohnzimmer gesehen.«
»Ich denke schon«, erwiderte Nysander. »Komm mit und hilf mir suchen, ja?«
Während sie die Turmtreppe hinabstiegen, schwieg Nysander. Doch sobald sie Wohnzimmertür fest hinter sich verschlossen hatten, musterte er Seregil mit erwartungsvoller Miene.
»Ich nehme an, du möchtest über irgend etwas unter vier Augen mit mir reden, richtig?«
»War es denn so offensichtlich?«
»Also wirklich: Reli ä Noliena?« Nysander setzte sich auf seinen Lieblingsstuhl am Kamin und bedachte Seregil mit einem sarkastischen Blick. »Ich glaube, mich zu erinnern, daß du ihre Werke bei zahlreichen Gelegenheiten als unbeschreiblichen Mist bezeichnet hast.«
Seregil zuckte mit den Schultern und fuhr mit dem Finger den Zierrand des Wandgemäldes nach, das die kleine Kammer beherrschte. »Es war das erstbeste, was mir eingefallen ist. Was hältst du von Alecs Traum und diesem Pfeilschaft ohne Spitze? Ich habe das Gefühl, er hat etwas mit« – kurz setzte Seregil ab, als er Nysanders warnenden Blick bemerkte – »mit dieser bestimmten Angelegenheit zu tun, über die ich nicht sprechen darf.«
»Scheint zusammenzupassen. Bestimmt denkst du dabei an die Worte des Orakels, richtig?«
»›Der Hüter, die Vorhut und der Schaft.‹«
»Natürlich besteht die Möglichkeit, daß es eine Verbindung gibt, obwohl ich keine Ahnung habe,
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