Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
aufbrechen.«
»Auf eine Stunde mehr oder weniger kommt es auch nicht an.« Seregils Lächeln verblaßte, als er Alec bedeutete, sich auf einen Stuhl zu setzen. »Zuerst müssen wir uns mit etwas anderem befassen.«
Alec nahm Platz und musterte voller Unbehagen Seregils Züge; sein Freund wirkte alles andere als fröhlich.
»Zuerst mußt du mir mit deinem Eid als Wächter Verschwiegenheit schwören«, begann Seregil in ungewohnt ernstem Tonfall.
Erwartungsvolle Unruhe durchströmte Alec, als er nickte. »Ich schwöre. Worum geht’s?«
»Dein Traum von dem Pfeilschaft ohne Spitze; er sagt Nysander etwas. Mir eigentlich auch, schon als du mir letzte Nacht davon erzählt hast, aber ich mußte erst mit Nysander reden, bevor ich sicher sein konnte.«
»Sicher worüber?« fragte Alec beunruhigt.
»Ich habe dir so viel zu erzählen, daß ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.« Seregil starrte einen Augenblick auf seine gefalteten Hände hinunter. »In jener ersten Nacht, als wir hier ankamen, bin ich noch einmal weggegangen.«
»Zum Illiortempel.«
»Stimmt, aber ich habe dir nie gesagt weshalb, oder?«
»Nein, nie.«
»Ich habe gehofft, das Orakel könnte mir etwas über die Holzscheibe erzählen, die wir aus Wolde mitgebracht hatten.« Mit der Hand berührte Seregil die Brust an der Stelle, wo sich das verborgene Mal befand.
Ungläubig starrte Alec ihn an. »Weiß Nysander darüber Bescheid?«
»Jetzt schon, aber darauf kommt es nicht an. Über die Scheibe hat mir das Orakel wenig verraten, dafür hat es etwas gesagt, von dem ich inzwischen weiß, daß es Teil einer Prophezeiung ist. Es hat vom Verzehrer des Todes gesprochen …«
»Genau wie in dem Tagebuch, das wir gefunden haben, und wie bei der Trauernachtszeremonie.«
»Ja, und dann hat es gemeint, ich sollte drei Leute beschützen, die es als den Hüter, die Vorhut und den Schaft bezeichnete. Und es gibt eine vierte Figur, den Ungesehenen oder Führer. Anscheinend bin ich das, und Nysander ist der Hüter. Nachdem wir von deinem Traum erfahren haben, glauben wir, du könntest …«
»Der Schaft sein«, beendete Alec den Satz leise, dachte an den Pfeil ohne Spitze und verspürte die Hilflosigkeit, die ihn dabei jedesmal überkam.
»Anscheinend hat Nysander so eine Ahnung, daß Micum die Vorhut verkörpert.«
»Aber der Verzehrer des Todes ist Seriamaius.« Er beobachtete, wie Seregil zusammenzuckte, als er den Namen laut aussprach. »Irgendwie muß das mit der Sache mit dem Schaft und dem Hüter zusammenhängen. Oh, warte mal …« Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Alecs Magen aus. »Diese Scheibe, diese verfluchte Holzscheibe, die dich so krank und verrückt gemacht hat. Du bist zum Orakel gegangen, um es darüber zu befragen, also muß sie etwas mit der Prophezeiung zu tun haben.«
»So ist es«, bestätigte Seregil. »Aber ich weiß nicht, was. Nysander verrät mir nur so viel, daß die Scheibe ein Teil von etwas Größerem ist, und daß die Plenimaraner bereit sind, jedwede Anstrengung zu unternehmen, um dieses Etwas zu bekommen. Als ich kurz vor dem Sakorfest verreiste, sollte ich einen weiteren Gegenstand holen, bevor ihn die Plenimaraner in die Finger kriegen konnten, eine Art Krone. Dem Ding haftete dieselbe böse Magie wie der Holzscheibe an, nur noch stärker.« Seine Miene verfinsterte sich, als die Erinnerung daran in ihm aufwallte. »Viel stärker sogar – und viel gefährlicher. Aber ich habe sie bekommen.«
»Da waren noch andere Scheiben wie diejenige, die wir gestohlen haben«, fiel Alec ein, dessen Gedanken sich überschlugen. »Vielleicht müssen sie alle zusammengebracht werden, um ihre volle Wirkung zu erzielen.«
»Genau. Das bedeutet, wären wir gierig gewesen und hätten alle gestohlen, wären wir wahrscheinlich nicht einmal bis Boersby gekommen. Ich wollte dir das alles schon früher erzählen, aber ich mußte Nysander Verschwiegenheit schwören. Jetzt sage ich es dir nur deshalb, weil auch du ein Teil davon zu sein scheinst.«
»Ein Teil wovon?« wollte Alec wissen. »Was tut der Schaft eigentlich? Wenn Nysander die Scheibe und die Krone hat, werden die Plenimaraner sie wohl kaum bekommen, und was auch immer sie vorhaben kann gar nicht geschehen, oder?«
»Ich schätze, so ist es gedacht. Aber weshalb sollten diese Träume dich ausgerechnet jetzt heimsuchen, wenn weiter nichts an der Sache dran ist?«
»Glaubst du, Mardus könnte immer noch hinter uns her sein? Bei Bilairy, Seregil, wenn Rhal uns finden
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