Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
er mir nicht mehr so schlimm. Bei dem Angriff auf Kassaries Bergfried hat er geholfen, unser Leben zu retten, und auch bei der Sache mit Rythel war er uns sehr nützlich. Seither ist er fast – freundlich. Vielleicht schätzt Nysander ihn trotz allem richtig ein. So überheblich und gefühlskalt er auch erscheinen mag, ich glaube, in seinem Inneren steckt ein guter Kern.«
Seregil bedachte Alec mit einem zweifelnden Grinsen. »Was bist du doch für ein einfühlsamer Kerl. Aber im Augenblick stehen wichtigere Dinge als Thero an. Ich erklär’s dir, sobald wir zu Hause sind.«
Beide hatten die Kapuzen tief in die Stirn gezogen, aber auch ohne das Antlitz seines Freundes zu sehen, erriet Alec, daß sich während Seregils Vieraugengespräch mit Nysander etwas Bedeutsames ergeben haben mußte.
»Worum geht’s?« fragte er, da Seregils Tonfall nicht erahnen ließ, ob es sich um einen Auftrag oder um ein Problem handelte.
Seregil aber schüttelte den Kopf. »Nicht hier.«
Auf dem restlichen Weg zur Herberge sprachen sie wenig, aber Alec fiel auf, daß sie eine mit Umwegen gespickte, wesentlich vorsichtigere Route als gewöhnlich einschlugen.
Als sie an der Küchentür vorbeigingen, rief Thryis sie zu sich. »Ich habe euch gar nicht weggehen gehört«, sagte sie, während sie neben dem Kamin Messer schliff. »Rhiri hat letzte Nacht eine Botschaft für euch vorbeigebracht, aber sie ist nicht an die Katze von Rhíminee gerichtet. Sie liegt dort auf dem Kaminsims hinter der Salzdose.«
Seregil fand die Botschaft, einen grob gefalteten Bogen Papier, der mit einem fettigen Bindfaden verschnürt und mit Kerzenwachstropfen versiegelt war.
»Sonst noch etwas?« fragte Seregil und beugte sich vor, um Luthas zu kitzeln, der neben den Füßen seiner Großmutter mit einem Holzlöffel spielte.
»Nein, gar nichts.«
»Wie viele Gäste haben wir heute in der Herberge?«
»Ich habe das Gefühl, dieser Wind verbläst unsere ganze Kundschaft«, brummte die alte Frau und überprüfte mit dem Daumennagel die Schneide eines Fleischerbeils. »Da waren diese sechs Rollkutscher, aber die sind heute morgen in aller Früh abgereist. Jetzt haben wir nur noch einen Pferdehändler und seinen Sohn im vorderen Zimmer und einen Stoffhändler, der für das Frühjahrsgeschäft hier ist. So flau war es um diese Zeit noch nie. Ich habe Cilla und Diomis losgeschickt, damit sie sich auf dem Markt ein wenig umhören.«
Plötzlich stieß Luthas einen zornigen Schrei aus und ließ sie alle zusammenzucken.
»Bei der Flamme, er ist schon den ganzen Vormittag so unruhig«, seufzte Thryis. »Bestimmt kriegt er schon wieder einen Zahn.«
»Ich nehme ihn.« Alec hob das Kind auf und wiegte es sanft in den Armen, doch Luthas heulte unvermindert weiter.
»Du willst deine Mutter, nicht wahr, mein Kleiner?«
Thryis lächelte und hielt ihm den Löffel hin, aber Luthas stieß ihn weg, schrie nur noch lauter und wand sich wie ein Aal.
»Such mir seinen Fetzen!« rief Alec Seregil über den Tumult hinweg zu.
Seregil kramte in der Wiege, fand ein buntes Tuch mit einem Knoten in der Mitte und hielt es in Luthas’ Reichweite. Das Kind ergriff es, stopfte den Knoten in den Mund und kaute entschieden zornig darauf herum. Nach einer Weile entspannte sich der Knabe schläfrig an Alecs Schulter.
»Du entwickelst dich ja zu einer regelrechten Amme«, flüsterte Seregil.
»Oh, sie sind die besten Freunde, diese beiden«, meinte Thryis stolz.
Alec wollte das Kind gerade behutsam in die Wiege legen, als Rhiri hereinstapfte und geräuschvoll die Tür hinter sich zuwarf. Ruckartig erwachte Luthas und begann abermals, bitterlich zu weinen.
Der stumme Stallknecht nickte Alec entschuldigend zu, dann zog er eine kleine Pergamentrolle aus dem Lederwams und reichte sie Seregil. »Komm mit!« sagte Seregil und bedeutete Alec, ihm zu folgen.
In ihrem unordentlichen Wohnzimmer ließ sich Seregil auf das Sofa plumpsen und öffnete die Rolle, die einen juwelenbesetzten Ring und das übliche Ersuchen um die Dienste der Katze enthielt. Ungeduldig schniefend, legte er beides beiseite, schnitt den Faden um das gefaltete Papier durch und strich es auf den Knien glatt.
»Na, das sind endlich mal gute Neuigkeiten!« rief er freudig aus. »Hör dir das an: ›Sind im Hafen von Rhíminee und erwarten Euch. Fragt im Griffin nach Welken.‹ Unterzeichnet ist die Botschaft mit ›Rhal, Kapitän der Grünen Lady‹, mit gestrigem Datum.«
»Gestern? Dann sollten wir schleunigst
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