Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
Laternen am Haupttor der Herberge zum Jungen Hahn ausgehen lassen.
Dafür wird Thryis ihn ganz schön zur Schnecke machen, dachte Alec, als er um das Haus herum in den Hinterhof trabte.
Im Stall sattelte er Patch ab und legte eine Decke auf den dampfenden Rücken der Stute. Nachdem er sie mit Wasser und Futter versorgt hatte, ließ er sich durch die Speisekammertür ein und eilte die Hintertreppe hinauf. Bei all dem Tumult in der Stadt würde Seregil vielleicht vergessen, daß Alec seinen Befehl, die Nacht auf Watermead zu verbringen, mißachtet hatte.
Er kannte den Weg nach oben so gut, daß er sich die Mühe sparte, ein Licht zu entzünden. Im zweiten Stock warf er einen beiläufigen Blick in den Korridor, dann eilte er die geheime Treppe zu ihren Zimmern hinauf. Die Schlüsselworte für die Schutzglyphen waren ihm längst in Fleisch und Blut übergegangen; hastig und ohne nachzudenken sprach er sie aus, während er hinauflief. In seinem Übereifer, endlich Seregil zu finden, entging ihm, daß die Schutzsymbole nicht wie sonst kurz aufleuchteten, als er an ihnen vorbeischritt.
Weder ein letzter Traum noch eine Vision bereiteten ihn darauf vor.
Nysander döste über einem astrologischen Handbuch vor dem Schlafzimmerkamin, als ihn die magische Warnung aufspringen ließ; der Schutzwall der Orëska war durchbrochen worden. Dem Alarm folgte eine wahre Sturmflut von Botschaftsschimmern, die gleich Bienen durch das Haus schwirrten, als sämtliche Magier des Anwesens gleichzeitig nach Auskünften brüllten.
Oder um Hilfe.
Eindringlinge in der Vorhalle! erscholl Golarias Stimme wie ein roter Blitz. Ein Todesschrei von Ermintals jungem Lehrling bohrte sich gleich einer Glasscherbe in Nysanders Verstand, danach brüllte Ermintal selbst auf: Das Kellergewölbe! – doch eine jähe Schwärze brach den Satz unvermittelt ab.
Über das Stimmengewirr hinweg rief Nysander nach Thero, aber er erhielt keine Antwort.
Nysander stählte sich für den Kampf, von dem er gehofft hatte, ihn nie austragen zu müssen, bereitete einen Ortswechselzauber vor und trat durch die Öffnung in den Korridor des untersten Gewölbes, der sich unmittelbar neben der geheimen Kammer erstreckte. Dort erwarteten ihn bereits mehrere dunkle Gestalten. Er ging einen Schritt auf sie zu und stolperte. Als er hinabschaute, erblickte er die Überreste Ermintals und dessen Lehrlings, die er nur an den zerfetzten Roben erkannte. Dahinter stapelten sich weitere Leichen.
»Willkommen, alter Mann.« Es war die Stimme aus Nysanders Visionen. Magie knisterte auf, und er konnte gerade noch rechtzeitig einen Schutzwall vor sich aufziehen, bevor sie ihn als brüllender Flammenball traf; die Leichen brutzelten und rauchten, als der Schwall über ihnen hinwegzischte.
Nachdem Nysander das Gleichgewicht wiedererlangt hatte, schlug er mit einem Blitz zurück, doch der kleinere der beiden Eindringlinge hob nur gelangweilt die Hand und wischte ihn beiseite, auf daß er sich an der Wand entlud. Im Licht der Explosion sah Nysander, daß es sich um einen Dyrmagnos handelte. Daneben stand ein Schemen, um den sich so dichte, wabernde Schattenschleier rankten, daß Nysander zunächst nicht sicher sein konnte, ob es ein Mensch oder ein übernatürliches Wesen war.
»Sei gegrüßt, alter Mann«, zischte der Dyrmagnos. »Wie müde du nach deiner langen Wache doch sein mußt.«
Nicht Tikárie Megraesh, sondern eine Frau, dachte Nysander, als er einen Schritt auf die Gestalt zuging. Sie glich einem zerbrechlichen, verhutzelten Gerippe, geschwärzt von den endlosen Jahren, ausgetrocknet durch das Böse, das sie am Leben erhielt. Dies stellte die höchste Weihe eines Totenbeschwörers dar – die Verkörperung des Lebens im Tod, umhüllt von den prunkvollen Gewändern einer Königin.
Sie hob die klauengleichen Hände, hielt zwei menschliche Herzen hoch und quetschte sie, bis in langen Fäden zähes Blut heraustroff und auf den Boden rings um ihre Füße spritzte.
»Das Fest hat begonnen, Hüter«, verkündete die Gestalt neben ihr, und abermals erkannte Nysander die Stimme als jene des goldhäutigen Dämons aus seinen Visionen. Doch es war eine Sinnestäuschung. Durch die Schleier der Dunkelheit sah er einen Mann – Mardus –, der mit der Stimme des Verzehrers des Todes sprach.
Hinter den beiden tauchten weitere Schemen in langen Roben auf.
Der erbärmliche Gestank von Totenbeschwörern wehte Nysander entgegen, begleitet von einem vertrauten Geruch, der ihm fast das Herz
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