Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
kopflose Körper, so als warteten sie auf ihn.
Noch bevor er die auf dem verwüsteten Kaminsims aufgereihten Köpfe erspähte, wußte er, um wen es sich handelte. Das seltsame Licht ließ die Konturen der verzerrten Züge deutlich hervortreten: Thryis, Diomis, Cilla und Rhiri schienen völlig verständnislos auf die eigenen Körper zu starren, die ein kranker Verstand in entspannter Haltung auf dem Sofa angeordnet hatte. Diomis saß an seine Mutter gelehnt und hatte einen Arm um ihre blutigen Schultern geschlungen. Daneben hockte Cilla, zu Rhiris Überresten geneigt.
Überall war Blut. Es hing in geronnenen Fäden vom Kaminsims, auf den Kacheln darunter hatten sich breite Lachen gebildet. An den mitleiderregenden Leichen war es zu schorfigen Krusten getrocknet. An den Wänden prangten große, klebrige Schlieren und Handabdrücke.
Ein Kampf hatte stattgefunden. Jemand hatte den Ecktisch umgestoßen und dadurch einen Pergamentstapel über den bereits blutgetränkten Teppich verstreut. Der Schreibtisch lag verkehrt in einem Gewirr aus Federkielen und Papier, auch die Regale links davon waren umgeworfen worden. Als Seregil sich bückte, um das Durcheinander genauer zu betrachten, sprang ihm aus den Schatten hinter der Werkbank etwas ins Auge, das ihm den Atem stocken ließ.
Alecs Schwert.
Er zog es hervor und nahm es eingehend unter die Lupe. Dunkle Flecken entlang der Schneide verrieten, daß Alec sich heftig gewehrt hatte, ehe er den Kampf verlor. Seregil ergriff das Schwert am Heft und spürte überrascht, wie ihn ein kurzer, unerklärlicher Anflug von Wut übermannte.
Ich habe ihm doch gesagt, er soll auf Watermead bleiben!
Die Tür zu seinem Schlafzimmer war zwar geschlossen, aber blutige Fußabdrücke führten hinein. Er ergriff ein Gefäß voller Lichtsteine aus einem Regal, trat die Tür auf und schleuderte den Krug hinein.
Ein unheimlicher, kläglicher Laut ertönte; erschrocken riß Seregil das Schwert hoch. Abermals ertönte das Geräusch und ging in ein langgezogenes Knurren über. Als er dem Ton folgte, entdeckte er Ruetha, die oben auf einem Kleiderschrank hockte, mit gleich einem Sumpffeuer funkelnden Augen. Sie fauchte ihn an, dann sprang sie herunter und huschte zur Tür hinaus.
Hier schien alles unberührt, abgesehen von den grünen Samtvorhängen an seinem Bett. Er verwendete sie nie, aber jemand hatte sie rings um die Liegestatt zugezogen. Derselbe Jemand, der die blutigen Fußabdrücke auf dem Teppich hinterlassen hatte.
Laut hallten Seregils Atemzüge in seinen Ohren wider, als er sich zwang, den Raum zu durchschreiten; er ahnte bereits, wessen Leichnam er finden würde, sobald er die Vorhänge öffnete.
»Nein«, stieß er heiser hervor, ohne zu merken, daß er überhaupt sprach. »Nein nein nein, o bitte nicht …«
Jäh biß er die Zähne zusammen und riß den Vorhang auf.
Aber auf dem Bett lag nur ein Dolch – ein Dolch, um dessen Heft ein Büschel langer, blonder Haare geknotet war. Mit zitternden Händen hob Seregil das Messer auf und erkannte den schwarzen, mit Silber eingelegten Griff; es war der Dolch, den er Alec in Wolde geschenkt hatte.
Einen schwindelerregenden Lidschlag lang vermeinte er, wieder Alecs Daumen im Gesicht zu spüren, der ihm Ruß auf die saubere Stelle an der Wange schmierte.
»Wo ist er?« zischte Seregil. Wutentbrannt ergriff er das Schwert und stürmte zurück hinaus ins Wohnzimmer. »Ihr Schweinehunde! Was habt ihr mit ihm gemacht?«
Ein boshaftes Kichern brach neben ihm los; Seregil erstarrte. Panisch ließ er den Blick durch den Raum wandern. Abermals ertönte das Lachen und sträubte ihm die Nackenhaare. Er kannte die Stimme.
Es war die Stimme der Erscheinung, die ihn durch die mycenische Landschaft verfolgt hatte; die Stimme, gegen die er in jener Nacht, als Alec ihm die Holzscheibe vom Hals riß, in einem Fiebertraum angekämpft hatte.
Doch diesmal stammte sie von keinem schwarzen, gestaltlosen Schemen; diesmal drang sie von den sich bewegenden Lippen an Cillas abgetrenntem Kopf.
»Seregil von Rhíminee und Aurënen!« Die glasigen Augen rollten in den Höhlen und hefteten sich auf ihn. »Endlich haben wir dich gefunden, du Dieb!«
Aus Diomis’ offenem Mund hallte dieselbe gräßliche Stimme. »Hast du geglaubt, wir würden dich davonkommen lassen? Du hast das Heiligtum des Seriamaius entweiht und seine Reliquien besudelt.«
»Das Auge und die Krone.« Nun sprach Rhiri, der sein ganzes Leben lang keine Stimme gehabt hatte.
»Dieb!
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