Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
zerriß – der betörenden Süße von Ylinestras unverkennbarem Duft.
»Nach all den Jahren des Erwartens hast du gar keine Antwort bereit?« höhnte der Dyrmagnos.
»Für deinesgleichen gibt es nur eine Antwort, und zwar die.« Damit hob Nysander die Hände und schleuderte die Kugeln geballter Macht, die auf seinen Handflächen brannten.
32
Verlust
Der Mond hatte seinen Zenit bereits überschritten, als Seregil in die Blaufischstraße zurückkehrte. Es war ein völlig sinnloser Tag gewesen. Da das Bettlergesetz wieder in Kraft getreten war, hatten sich viele seiner wertvollen Kontaktleute aus dem Staub gemacht oder waren untergetaucht. Die wenigen, die er aufspüren konnte, wußten nichts Neues über eine plenimaranische Verschwörung in Rhíminee zu berichten. Sofern sich der Feind tatsächlich in der Stadt befand, verschleierte er es meisterhaft.
So erschöpft Seregil auch war, der Anblick der erloschenen Laternen vor der Herberge ließ ihn stutzig werden. Eine dunkle Ahnung sträubte ihm die Haare im Nacken und an den Armen. Flugs duckte er sich in den Schatten eines Tores auf der gegenüberliegenden Straßenseite und ließ den Blick eine Weile prüfend über den Hof wandern, dann zog er das Schwert und schlich vorsichtig zur Eingangstür hinüber.
Sie war nur angelehnt.
Ohne sie zu berühren lief er auf leisen Sohlen ums Haus und entdeckte, daß auch die Hintertür offenstand. Mit der Spitze der Schwertklinge stieß er sie weit auf und bereitete sich auf einen Angriff vor, doch drinnen schien alles ruhig.
Ein unheilverkündender Geruch stieg ihm in die Nase, als er die Küche betrat: der schale, rußige Moder eines erkalteten Kamins und niedergebrannter Lampen. Nachdem er einen Lichtstein hervorgeholt hatte, stellte er fest, daß alles unverändert wirkte, ausgenommen Rhiris Pritsche, die nicht wie üblich neben dem Kamin stand.
Im zweiten Stock stieß er auf noch bedrohlichere Zeichen. Thryis und ihre Familie befanden sich nicht in ihren Zimmern, und anscheinend war nur in Cillas Bett geschlafen worden; die Bettwäsche wirkte hastig zurückgeschlagen, und die Tagesdecke hing schief über die Seite. Neben dem Bett lag ein umgeworfener Stuhl in den zerbrochenen Überresten einer Waschschüssel.
Eine drückende Schwere nistete sich in Seregils Magengrube ein, als er sich zu den Gästezimmern im vorderen Teil der Herberge begab. Nur ein Raum war bewohnt. Der unglückliche Fuhrmann und dessen Sohn lagen tot in den Betten; sie waren mit den Kissen erstickt worden.
Die in die Wandtäfelung eingebaute Geheimtür zu der Treppe, die hinauf zu Seregils Zimmer führte, wirkte äußerlich unangetastet, als er sie aber öffnete, stellte er fest, daß sich jemand an der Schutzglyphe am Fuße der Treppe zu schaffen gemacht hatte. Auf den untersten Stufen prangten Blutflecken; einige davon waren verschmiert, weil augenscheinlich mehrere Personen hineingetreten waren, bevor sie trocknen konnten. Die weiter oben befindlichen Glyphen waren schlicht und ergreifend verschwunden. Das Schwert immer noch in der rechten Hand, zog er mit der linken den Dolch und schlich die Treppe hinauf.
Die Türen am oberen Ende der Stufen standen offen, dahinter war es dunkel. Sollte jemand in dem unbenutzten Lagerraum lauern, war es am besten, dies jetzt herauszufinden, solange Seregil noch die Möglichkeit hatte, rasch den Rückzug anzutreten. Er fingerte einen Lichtstein aus einem am Gürtel befestigten Beutel und warf ihn hinein. Geräuschvoll polterte der Stein über den Boden und beleuchtete die wenigen Kisten und Truhen, die darin verstreut lagen. Niemand sprang aus der Düsternis, um ihn anzugreifen, doch der Boden erzählte eine Geschichte, die zu deuten es keines Micum Cavishs bedurfte; Menschen, viele Menschen waren hier ein- und ausgegangen. Einige waren durch den Raum geschleift worden, einige hatten geblutet.
Auch die letzte Schutzglyphe an der Tür zum Wohnzimmer war verschwunden. Seregil holte tief Luft, preßte sich an die Wand neben dem Türstock und drehte langsam den Knauf.
Ein schauriger, unsteter Lichtstrahl fiel auf den Boden vor seinen Füßen, und ein entsetzlicher Schlachthausgestank drang aus dem Zimmer. Die Waffen im Anschlag stürmte er hinein. Trotz all der Vorwarnungen traf ihn der erste Anblick in der Kammer wie eine Kanonenkugel.
Mehrere Lampen brannten noch, und im leeren Kamin tänzelten fahle, widernatürliche Flammen. Irgend jemand hatte das Sofa der Tür zugekehrt, und darauf saßen vier
Weitere Kostenlose Bücher