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Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit

Titel: Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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ihnen aber wiesen helleres Haar oder feiner geschnittene Züge auf, was verriet, daß gemischtes Blut in ihren Adern floß – wahrscheinlich Aurënfaie-Blut, da sonst so gut wie niemand den Weg in diese abgeschiedenen Weiler fand.
    Der Dorfhäuptling war ein solches Halbblut. Als er breit grinsend vortrat, stellte Seregil fest, daß die Augen des Mannes das gleiche klare Grau aufwiesen wie seine eigenen.
    »Sei uns willkommen, Hellhäutiger«, begrüßte er Seregil in einer Mischung aus gebrochenem Aurënfaieisch und Dravnisch. »Ich bin Retak, Sohn von Wigris und Akra, Anführer dieses Dorfes.«
    »Ich bin Meringil, Sohn von Solun und Nycanthi«, antwortete Seregil auf Dravnisch.
    Grinsend fiel Retak in seine Muttersprache zurück. »Seit meines Großvaters Lebzeiten haben wir niemanden deines Stammes mehr gesehen. Deine Anwesenheit ist eine Ehre für unser Dorf. Dürfen wir dich einladen, im Rathaus mit uns zu feiern?«
    »Es ist mir eine Ehre«, erwiderte Seregil und verbeugte sich, so tief es die dicke Kleidung gestattete.
    Abgesehen von einem großen Rauchloch in der Mitte verfügte das obere Stockwerk des Rathauses, das als Gemeinschaftslagerraum diente, über einen durchgehenden Fußboden. Grobe Steinstufen führten in das untere Zimmer hinab. Dort leckten in einer Feuergrube bereits riesige Flammen an getrockneten Dungschnitzeln. Ringsum lagen dicke Teppiche und Nackenrollen. An einem Kochfeuer am gegenüberliegenden Ende werkten bereits eifrig Frauen, um das Festmahl vorzubereiten.
    Nachdem sich Seregil mit Retak und den übrigen bedeutenden Männern des Dorfes am Hauptfeuer niedergelassen hatte, schloß er kurz die Augen, als sein Magen sich langsam und unangenehm zusammenkrampfte. Der Geruch geschlachteter Tiere, der sich mit den noch durchdringenderen Ausdünstungen ungewaschener Körper und fettigen Haares vermengte, erwies sich nach der klaren Bergluft als schier übermächtig. Jedes verfügbare Plätzchen schien von einem neugierigen Dorfbewohner besetzt. Rings um Seregil plapperten Leute aufgeregt durcheinander und beugten sich an ihren Nachbarn vorbei, um jemand anders etwas zuzurufen. Auch von oben herab wurde lauthals nach Einzelheiten gefragt. Kinder umringten das Rauchloch über ihnen und schnatterten wie Schwalben. Die Frauen hantierten geräuschvoll und fröhlich vor sich hin, schwangen Fleischerbeile und klapperten mit Bratspießen und Schüsseln.
    Seregil spürte, wie sich alle Augen auf ihn richteten, als er die schweren Außengewänder ablegte. Da er als Reisender aus seiner Heimat Aurënen auftrat, trug Seregil die landesübliche Tracht. Der lange, weiße Kittel und die enganliegende Hose waren bequem und bis auf schmale Webmuster an Saum und Kragen schmucklos. Um das Bild zu vervollständigen, holte er ein grob gestricktes Kopftuch aus dem Kittel hervor und band sich den faltigen Stoff mit geübtem Schwung um den Kopf, so daß die langen Enden auf seinen Rücken hinabhingen. An Seregils Gürtel prangte ein kleiner, verzierter Dolch, den er ebenso wie das Schwert als Geste des Vertrauens ablegte.
    Ein erwartungsvolles Raunzen ging durch den Raum, als er sich endlich zurücklehnte und von Seune, des Häuptlings Gemahlin, eine Schüssel llaki entgegennahm. Er trank gerade so viel von der gegorenen Milch, wie es die Gebote guter Manieren verlangten. Es war seine Pflicht als Gast, die ihm erwiesene Gastfreundschaft durch Neuigkeiten zu vergüten. Bedächtig erzählte er von Ereignissen, die er als wissenswert für die Dorfbewohner erachtete. Die meisten davon lagen dreißig Jahre zurück. Dazu mischte er ein paar Gerüchtebrocken, die er im Laufe seiner Zeit im Exil aufgeschnappt hatte. Doch für die Dravnier war alles neu und fand großen Anklang.
    Nachdem er geendet hatte, begann das traditionelle Geschichtenerzählen. Obwohl die Dravnier als große Geschichtenliebhaber galten, besaßen sie keine eigene Schrift. Jede Familie hütete ihren eigenen Geschichtenschatz, den nur ein Mitglied der jeweiligen Sippe wiederzugeben vermochte. Andere Geschichten wiederum waren Allgemeingut und wurden von denjenigen verlangt, die sie am besten erzählen konnten. Dabei warfen fortwährend die Kinder ein paar ihnen vertraute Zeilen ein, und die Frauen steuerten die entsprechenden Lieder bei.
    Seregil gab ein paar eigene Geschichten zum Besten und wurde bald als biruk bejubelt, »einer der viele Geschichten kennt« – was bei den Dravniern als höchstes Lob galt. Als nach einer Weile ein riesiges Tablett

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