Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
schwarzer Stier gekettet war, befanden sich kleine Holzkäfige.
Als nächstes stolperte eine lange Reihe in Ketten gelegter Gefangener vorüber. Frauen, Männer und Kinder, einige kaum älter als Illia, marschierten mutlos schweigend unter den wachsamen Augen ihrer berittenen Wachen voran. Hinter ihnen folgten wiederum Karren, Bedienstete und Vieh.
Während Micum beobachtete, wie der Rest der Kolonne vorbeizog, sank sein Mut beträchtlich. Alec hatte sich schwer verschätzt; es handelte sich eher um an die hundert Soldaten.
Bei der Flamme, dachte er. Diesmal steht uns aber wirklich ganz schön was bevor.
Während Micum weg war, verbrachte Seregil einige Zeit damit, das plenimaranische Lager auszukundschaften, dann ging er zurück, um nach Alec zu sehen.
Der Junge schlief noch und lag unter dem Umhang eingerollt auf der Seite. Schmerzliche Runzeln zerfurchten seine Stirn, und seine Finger zuckten rastlos, während er sich durch die Alpträume kämpfte, die ihn nach wie vor plagten. Seregil setzte sich neben ihn und streichelte sanft Alecs zerzaustes Haar, bis der Schatten des Kummers aus seinem Gesicht verschwand.
Nysander hockte mit einigen Pfeilen auf dem Schoß am Boden. Von irgendwo hatte er eine kleine Farbdose herbeigezaubert und malte mit einem feinen Pinsel Symbole auf einen der Schäfte.
Während Seregil beobachtete, wie Alec schlief, schüttelte er besorgt den Kopf. »Glaubst du wirklich, er ist morgen in der Lage zu kämpfen?«
»Er ist jung und nicht allzu schwer verletzt«, beruhigte ihn der Magier, ohne von der Arbeit aufzuschauen. »Alles, was er braucht, ist Ruhe.«
Seregil rieb sich abwesend die Brust. Der letzte Schorf löste sich, und das Mal juckte wie verrückt. Als seine Finger über die Narbe strichen, fühlte er die winzigen Erhebungen der Wirbel, die der Abdruck der Scheibe hinterlassen hatte.
Es fühlte sich verändert an.
Er griff nach Micums Bündel, kramte den Rasierspiegel hervor und hielt ihn hoch, um die Narbe zu betrachten. Die runde Form der Scheibe und das kleine Rechteck, das von dem Loch in ihrer Mitte stammte, waren auf der hellen, frischen Haut immer noch deutlich zu sehen, aber der Abdruck der Zeichnung hatte sich verändert. Was ursprünglich ein unergründliches Muster aus Linien und Wirbeln gewesen war, hatte sich irgendwie in eine kreisrunde Anordnung stilisierter Messer, Augen und Totenbeschwörungsrunen verwandelt.
»Nysander, sieh dir das an!« Seregil zog den Kragen des Kittels weiter auseinander.
Überrascht schossen Nysanders Augenbrauen hoch. »Erinnerst du dich noch daran, wie ich dir gesagt habe, daß die Zeichnung auf der Holzscheibe etwas anderes verbirgt? Das ist eines der Sinnbilder des Leeren Gottes.«
Seregil betrachtete das Mal neuerlich. »Ich kann sie lesen. Die Runen, meine ich. Im Spiegel sind sie genau richtig herum. Ich habe früher nicht daran gedacht, aber da es sich um einen Abdruck handelt, ist das Ganze verkehrt.«
Abwesend zupfte Nysander an seinem Bart. »Wenn dieses Sinnbild magischer und nicht bloß symbolischer Natur ist, könnte eine solche Umkehrung bedeutende Auswirkungen auf seine Macht haben. Es könnte sogar geholfen haben, dich vor dem Zauber der Krone zu schützen.« Er lächelte reumütig. »Ich schätze, das hätte mir schon eher einfallen müssen, aber ich habe dein Überleben mit deinem magischen Gebrechen in Verbindung gebracht. Was im übrigen ebenfalls entscheidend dazu beigetragen haben könnte.«
In der Hoffnung, selbst ein wenig schlafen zu können, streckte sich Seregil neben Alec aus. »Ich würde das ein zweifelhaftes Glück nennen, aber im Augenblick bin ich für jede Art Glück dankbar, die sich mir bietet. Ich hoffe nur, es läßt uns morgen nicht im Stich.«
Nysander griff wieder zum Pinsel. »Ich auch, mein lieber Junge.«
49
Unter der schwarzen Sonne
Alec schlief die Nacht durch, während Nysander und die anderen lauschten, wie die Plenimaraner das Tempelgelände vorbereiteten. Auch die Gesänge hörten sie, und später die Schreie und Klagelaute, die der Wind vom Lager zu ihnen herübertrug. Micum wollte losziehen, um den Geräuschen auf den Grund zu gehen, doch der Magier verbot es ihm.
»Wir wissen ganz genau, was sie da drüben treiben. Während solcher Rituale ist der Dyrmagnos gefährlicher denn je. Ohne die Schutzbeschwörungen, mit denen ich uns umgeben habe, hätte sie uns längst gewittert. Im Augenblick sind wir in Sicherheit, aber wir müssen bis morgen warten, bevor wir
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