Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
tut mir leid.«
»Niemand gibt dir für irgend etwas die Schuld. Du hast getan, was du tun mußtest, genau wie wir alle.«
Nach der langen Stille wirkte Seregils kurzes, zorniges Lachen erschreckend. »Was hatte ich denn für eine Wahl?«
Am folgenden Morgen stachen sie in See und kreuzten in nördlicher Richtung die Küste entlang. Abermals durchquerte die immer noch mit den gestohlenen Segeln getakelte Grüne Lady die feindlichen Gewässer, ohne angegriffen zu werden. Erst in Nanta sorgte sie für ein wenig Aufsehen, bis Rhal seinen Freibeuterbrief vorzeigte.
Zwei Tage lagen sie im Hafen vor Anker. In dieser Zeit ließ Rhal die Segel wechseln und die Vorräte auffüllen. Beka fand einen Drysier, der sich um Micums und Seregils Wunden kümmerte, dann begann sie mit den Vorbereitungen für ihren eigenen Aufbruch. Sie und ihre Reiter waren verpflichtet, ihr Regiment wiederzufinden. Am zweiten Tag hatten Braknil und Rhylin genügend Pferde und Proviant aufgetrieben und in Erfahrung gebracht, daß sich ihr Regiment ein paar Tagesritte nördlich aufhielt.
Rhal hatte seine Kabine den Überlebenden von Nysanders Vierergruppe zur Verfügung gestellt, und Micum lag auf der schmalen Pritsche. Sein Bein war in Leinenverbände gewickelt. Beka setzte sich neben ihn und schob den langen Zopf über die Schulter zurück.
»In der Stadt heißt es, die Plenimaraner wären vorerst hinter die eigenen Grenzen zurückgedrängt worden«, teilte sie ihm mit. »Wir reiten nach Nordosten, bis wir auf skalanische Truppen stoßen, dann fragen wir uns von dort aus weiter durch.«
Micum ergriff ihre Hand. »Paß auf dich auf, mein Mädchen. Dieser Krieg ist längst noch nicht ausgestanden.«
Beka nickte und spürte einen Kloß im Hals. »Bei der Flamme, Vater. Es gefällt mir ganz und gar nicht, dich zu verlassen, aber ich muß zurück. Ich habe ein paar meiner Leute vorausgeschickt, bevor wir euch getroffen haben, und ich muß mich vergewissern, ob sie es geschafft haben.«
Micum zerstreute ihre Sorge mit einem Lächeln. »Ich habe mit Feldwebel Braknil und einigen anderen gesprochen. Laut denen bist du ein guter Offizier und eine tapfere Kriegerin. Ich bin stolz auf dich.«
Beka umarmte ihn innig und fühlte die vertraute, rauhe Wange ihres Vaters an der ihren. »Ich hatte ja auch die besten Lehrer, oder? Ich wünschte nur …«
»Was?«
Beka richtete sich wieder auf und wischte sich mit der Hand über die Augen. »Ich dachte immer, wenn ich erst einige Erfahrung gesammelt hätte, könnte Nysander mich vielleicht brauchen, du weißt schon, so wie dich und Seregil.«
»Mach dir darüber keine Gedanken. Es wird immer genug Ärger auf der Welt geben, um unseresgleichen zu beschäftigen. Nichts davon ist mit Nysander gestorben. Aber ich sage dir ganz ehrlich, ich mach’ mir große Sorgen um Seregil.«
Beka nickte. »Und um Alec. Es ist ununübersehbar, wie sehr er darunter leidet, daß Seregil so still und traurig ist. Was ist nur mit den beiden geschehen?«
Seufzend legte sich Micum auf die Kissen zurück. »Der arme Alec. Ihm liegt so viel an Seregil, daß er ohnehin nicht weiß, wie er damit umgehen soll, und jetzt das. Und Seregils Trauer sitzt so tief, daß ich nicht sicher bin, ob wir ihm überhaupt irgendwie helfen können.«
»Vielleicht muß er sich selbst helfen.« Zögernd erhob sich Beka. »Laß das Bein von Valerius behandeln, wenn du wieder daheim bist. Und richte Mutter und den Mädchen aus, daß ich sie liebe. Schick mir eine Nachricht über meinen neuen Bruder, wenn er geboren ist.«
»Und du sieh zu, daß du in einem Stück bleibst, hörst du?«
Beka küßte ihn ein letztes Mal, dann eilte sie hinauf an Deck. Seregil stand allein an der Reling.
Nachdem sie einander die Hände geschüttelt hatten, drehte er ihre Handflächen nach oben und betrachtete die verblaßten Spuren der Symbole darauf.
»Du hast nicht nur das Haar deines Vaters, sondern auch sein Herz«, sagte er mit einem Abklatsch seines alten Lächelns auf den Lippen. »Man kann sich immer darauf verlassen, daß einer von euch beiden auftaucht, wenn man es am wenigsten erwartet und am meisten braucht. Glück in den Schatten, Beka Cavish, und im Licht.«
»Auch dir viel Glück, Seregil, und das Heil des Schöpfers«, gab Beka herzlich zurück, die selbst über diesen winzigen Riß in Seregils Kummer Erleichterung verspürte. Seit sie ins See gegangen waren, hatte er kaum ein Wort gesprochen. »Bring Vater wohlbehalten nach Hause.«
Alec
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