Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
erwartete sie am Beiboot. Beka schlang die Arme um ihn, drückte ihn an sich und spürte, wie er die Umarmung erwiderte.
»Bring sie nach Watermead, alle beide«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Und bleibt so lange wie nötig dort. Der arme Nysander; ich kann mir nicht vorstellen, daß er je wollte, daß sich die Dinge so entwickeln.«
»Ich auch nicht«, erwiderte Alec, der ihre Arme festhielt, als sie zurücktrat.
Er wirkt so viel älter, dachte Beka, als sie die tiefsitzende Traurigkeit in seinen Augen sah.
Nachdem Nanta hinter der Kimm verschwunden war, begab sich Alec unter Deck. Seregil saß am Fußende von Micums Pritsche.
»Ich habe in Nanta etwas für dich gefunden, bevor wir losgesegelt sind«, sagte Alec und reichte Seregil ein in Stoff gehülltes Bündel. Darin befand sich eine kleine Harfe gleich der, die er in Wolde bei sich gehabt hatte.
»Ich weiß, sie ist nicht annähernd so gut wie deine«, fuhr Alec rasch fort, als Seregil das Tuch auseinanderfaltete und die Saiten berührte. »Aber ich dachte, sie könnte vielleicht … Na ja, Micum hat immer noch Schmerzen, und ich dachte, es würde ihm vielleicht Freude bereiten, wenn du für ihn spielst.«
Das mochte wohl eine kleine Notlüge sein, aber sie erfüllte ihren Zweck. Wissend zwinkerte Micum dem Jungen zu, als Seregil sich das Instrument auf die Knie stellte und versuchsweise ein paar Saiten anschlug.
Thero kam herein, um nach Micums Bein zu sehen, und blieb eine Weile, um zu lauschen. Seregil sang zwar nicht, aber er spielte Melodie um Melodie, durchweg traurige und beruhigende Klänge.
Micum sank in einen friedvollen Schlummer, und Alec saß still in der Ecke und beobachtete Seregils Züge, während sein Freund den ganzen Nachmittag hindurch spielte. Seine Miene verriet wenig. Die Mauer des Schweigens blieb bestehen.
Während der Rückreise nach Rhíminee schien Seregils Lebensmut zögernd wiederzukehren. Er sprach ein wenig offenherziger, wenngleich nie über Nysander oder den Helm. Darüber verlor er nie auch nur ein Wort. Er spazierte mit Alec und Thero über das Deck, aß spärliche Happen, ohne sie zu genießen oder sich zu beschweren und spielte stundenlang Harfe, wodurch er die eigenen Qualen ein wenig verbarg, indem er Micums Schmerz linderte.
Micum und Thero richteten sich an diesen kleinen Verbesserungen auf, aber Alec, der auf dem Boden in Rhals Kabine eine Pritsche mit Seregil teilte, wußte, wie sich sein Freund jede Nacht im Schlaf herumwarf und stöhnte. Eine unangenehme Ahnung, ähnlich der, die ihn in jener verhängnisvollen Nacht zurück in den Jungen Hahn gezogen hatte, ließ ihn soviel Zeit wie möglich an Seregils Seite verbringen. Der Mann, den er so lange gekannt hatte, war verschwunden; statt dessen war ein stiller Fremder mit abwesendem Blick zurückgeblieben.
Am Nachmittag des fünften Tages seit der Abreise aus Nanta saß Alec allein bei Micum. Das fahle, ausgemergelte Antlitz hob sich von den hellen Kissen ab, während er döste. Die Harfe lag neben seinen Füßen, wo Seregil sie abgestellt hatte, nachdem er ihn in den Schlaf gespielt hatte. Theros wiederholte Behandlungen hatten verhindert, daß sich Fäulnis in Micums Bein einnistete, dennoch war die Kabine vom stickigen, drückenden Geruch kranken Fleisches erfüllt. Leise, um Micum nicht aufzuwecken, öffnete Alec das Kabinenfenster und stellte einen Rucksack vor die offene Tür, damit sie nicht zufallen konnte. Gerade wollte er sich wieder aus der Kabine stehlen, als Micum die Augen aufschlug.
»Du machst ja ein ziemlich langes Gesicht«, brummte er heiser und bedeutete Alec, neben ihm Platz zu nehmen. »Raus mit der Sprache. Was ist los?«
Unglücklich zuckte Alec mit den Schultern. »Es geht um Seregil. Er verhält sich wie ein Schatten. Er redet nicht, er lächelt nicht. Es ist, als wäre er gar nicht richtig hier. Ich weiß nicht, was ich für ihn tun kann.«
»Ich glaube, du machst genau das richtige, indem du vorerst einfach in seiner Nähe bleibst, genau wie damals, als ihm die Holzscheibe beinahe den Verstand geraubt hätte. Damals war das für ihn ungemein wichtig, ja entscheidend. Das hat er mir selbst gesagt.«
»Das war Magie, außerdem hat er dagegen angekämpft. Aber Nysander zu töten …« Alec fummelte am Deckenzipfel herum und suchte nach den rechten Worten. »Es ist, als hätte er einen Teil von sich selbst getötet.«
»Das hat er auch. Wir müssen ihm Zeit lassen herauszufinden, was noch übrig
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