Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
ist.«
»Sicher, aber was, wenn er uns nicht in der Radstraße sondern in der Herberge aufgespürt hätte?« schoß Alec erbittert zurück.
»Was das angeht, sind wir auch wesentlich vorsichtiger. Noch nie hat mich jemand dorthin verfolgt.«
»Wahrscheinlich weil du nie so dumm warst, jemandem den verfluchten Weg zu beschreiben!«
»Trotzdem, wenn man die Umstände bedenkt – ich war zu krank, um klar zu denken, du kanntest das Land nicht –, dann wüßte ich nicht, was du sonst hättest tun sollen. Du hättest höchstens mit dem Fragen warten können, bis wir das Schiff verlassen hatten. Aber damals hast du es nicht besser gewußt. Jetzt schon.«
»Das wird mir ein enormer Trost sein, wenn uns wieder mal einer meiner Fehler aus der Vergangenheit einholt«, gab Alec trotzig zurück und schaute wenig beruhigt auf. »Was, wenn als nächstes Mardus auftaucht?«
»Selbst wenn es seine Leute waren, die Rhals Schiff durchsucht haben – und ich muß zugeben, die Geschichte klang sehr danach –, er hat ihnen überhaupt nichts erzählt.«
»Also glaubst du, daß wir in Sicherheit sind?«
Seregil grinste verkniffen. »Wir sind nie in Sicherheit. Aber ich glaube, wenn Mardus uns wirklich aufgespürt hätte, dann hätten wir inzwischen von ihm gehört. Ich meine, er müßte doch wahrlich verrückt sein, sich längere Zeit in Rhíminee aufzuhalten, so wie die Dinge im Augenblick stehen.«
10
Die Bürde der Wahrheit
Der Sarisin ging in den Dostin über, und der Winter umklammerte die Stadt mit zunehmend ehernem Griff. Aus den Bergen wirbelte Schnee herab, dem von der See her ein eisiger Regen folgte, der den Schnee in breiigen, schmutzigen Matsch verwandelte und die Gehwege mit spiegelglatten, tückischen Eisflächen überzog. Der Rauch Tausender Schornsteine vermengte sich mit dem Nebel und bildete einen grauen Schleier, der mehrere Tage lang ununterbrochen über den Dächern der Häuser hing.
Die Kriegsvorbereitungen gingen weiter, während sich unaufhörlich Gerüchte verbreiteten und kleinere Zwischenfälle ereigneten. In mycenischen Städten wurde skalanischen Händlern das Leben schwergemacht, indem Lagerhäuser geplündert oder in Brand gesteckt wurden. Es lagen Berichte über plenimaranische Preßpatrouillen vor, die sogar in so weit westlich gelegenen Häfen wie Isil umherschlichen. Es hieß, in den plenimaranischen Werften wären über hundert Kiele zu Wasser gelassen worden.
Zwar konnte vor dem Frühling keine große Armee aufgestellt werden, doch die Anwesenheit der bereits in Rhíminee stationierten Truppen machte sich stärker als gewöhnlich bemerkbar, da sie ständig an der Befestigung der Stadt arbeiteten und vor den Mauern exerzierten. Seregil und Alec ritten des öfteren hinaus, um die Reiterei der Königin bei ihren Übungen zu beobachten, aber ihre Freunde hatten selten Zeit, ihnen mehr als ein flüchtiges Hallo zuzurufen. In Macar schritt die Arbeit an Rhals Schiff unter dem gestrengen Auge des Kapitäns rasch voran. Nachdem Rhal erst Vertrauen zu Seregil gefaßt hatte, kümmerte er sich so hingebungsvoll um die Interessen seines Gönners, als wären es seine eigenen, genau wie Seregil es vorhergesehen hatte.
Zwar würden noch gut zwei Monate ins Land ziehen, bis das Schiff vom Stapel laufen konnte, dennoch ließ der Kapitän Skywake und Nettles bereits die Häfen entlang der Küste nach Seeleuten abgrasen. Das einzige, worüber er sich in Schweigen hüllte, war der Name des Schiffes. Als Alec ihn einmal danach fragte, zwinkerte Rhal ihm nur zu und meinte, es brächte Unglück, den Namen eines Schiffes zu verraten, bevor es vom Stapel gelaufen war.
Wenngleich Alec die Bedeutsamkeit der Ereignisse rings um ihn keineswegs entging, fühlte er sich im Verlauf des Winters zunehmend wohl in seiner Haut. Er hatte sich nach und nach in seine Rolle als Sir Alec eingelebt und seine Scheu in adeliger Gesellschaft abgelegt. Trotzdem war er am glücklichsten, wenn er an seinen geheimen Fertigkeiten feilen durfte, indem er mit Seregil als Katze von Rhíminee oder in Wächterbelangen für Nysander unterwegs war.
Außerdem lernte er die Gepflogenheiten des Lebens in der Radstraße zu schätzen. In seinem früheren Dasein, als er noch mit seinem Vater die Nordländer durchstreifte, waren die Winter stets harte Zeiten gewesen, in denen sie von Falle zu Falle durch den Schnee wateten, in groben Behausungen aus Buschwerk Zuflucht suchten und der verschneiten Einsamkeit der Wälder ausgeliefert
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