Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
reinkommen und auf ihn warten.«
»Nein, wir haben noch etwas anderes zu erledigen, solange wir hier sind. Vielleicht erwischen wir ihn später.«
»Verstehe.« Sie setzte ab und musterte seine Züge auf höchst beunruhigende Weise. »Ihr habt ihn in letzter Zeit nicht gesehen, oder?«
»Seit gut einer Woche nicht mehr«, erwiderte Alec. »Wir waren ziemlich beschäftigt.«
In den Augen der alten Magierin lag etwas, das sehr an Besorgnis erinnerte, obwohl sie dies zu verbergen suchte. »Stimmt irgend etwas nicht?« fragte Seregil.
Magyana seufzte. »Ich weiß nicht recht. Er wirkt auf einmal so völlig ausgebrannt. So erschöpft habe ich ihn seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Natürlich spricht er mit mir nicht darüber. Hat er euch vielleicht irgend etwas anvertraut?«
»Nein. Wie Alec schon sagte, wir haben ihn seit dem Fest nur ein paar Male wegen einiger kleiner Aufträge getroffen. Vermutlich hängt das mit der Sache mit Leiteus zusammen. Du weißt doch, wie sehr er sich in etwas hineinsteigert, an dem er arbeitet.«
»Das wird’s wohl sein«, meinte sie, hörte sich dabei jedoch wenig überzeugt an. »Schaut trotzdem bei ihm vorbei, wenn Ihr Zeit habt.« Abermals zögerte sie. »Nysander und du, ihr seid doch nicht etwa wütend aufeinander, oder?« Unvermittelt blitzte ein Bild in Seregils Gedanken auf: die Nacht, in der sie gemeinsam das Palimpsest entwirrten und Nysander ihn plötzlich mit den Augen eines Fremden anstarrte und warnte – wenn du auch nur ein Sterbenswörtchen dessen weitergibst, was ich dir gleich offenbare, muß ich euch alle töten.
Rasch verdrängte er die Erinnerung, ehe sie in seinen Zügen Ausdruck finden konnte. »Nein, natürlich nicht. Weshalb sollte ich wütend auf ihn sein?«
Nachdem sie Nysanders Gemächer verlassen hatten, folgte Alec Seregil durch den Irrgarten der Treppen und Gänge zurück ins Erdgeschoß.
»Die Orëska-Bibliothek ist über das gesamte Gebäude verstreut«, erklärte Seregil im Gehen. »In Zimmern, Kellergewölben, Schränken und wahrscheinlich auch in vergessenen Truhen. Thalonia ist seit einem Jahrhundert Bibliothekarin, aber ich vermute, selbst sie weiß nicht, wo alles zu finden ist. Einige Bücher sind für jedermann zugänglich, andere werden unter Verschluß gehalten.«
»Wieso? Sind sie so wertvoll?« fragte Alec und dachte an die kunstvoll verzierten Schriftrollen, die Nysander ihm geliehen hatte.
»Alle Bücher sind wertvoll. Manche sind gefährlich.«
»Meinst du Bücher mit Zaubersprüchen?«
Seregil grinste. »Die auch, aber ich dachte eher an Bücher, die bestimmte Gedanken enthalten, die weit gefährlicher als jede Magie sein können.«
Nachdem sie die Vorhalle durchquert hatten, schwang Seregil die schwere Tür zum Museum auf. Seit Alecs erstem Besuch während Seregils Krankheit waren sie nicht mehr hier gewesen. Als sie an dem Schaukasten vorbeigingen, der die Hände des Dyrmagnos Tikárie Megraesh enthielt, blieb Alec stehen. Ungeachtet aller Abscheu konnte er sich nicht verkneifen, einen Blick darauf zu werfen. Da er sich noch gut an den Streich erinnerte, den Seregil ihm dabei letztes Mal gespielt hatte, beließ er ein waches Auge auf seinem Freund.
Die verhutzelten Finger präsentierten sich reglos, aber die Eichenbretter, die den Boden des Schaukastens bildeten, wiesen unterhalb der gräßlichen Fingernägel frische Kratzer auf.
»Sehen ziemlich ruhig aus …« setzte er an, doch just da ballte sich eine der Hände krampfhaft zu einer Faust.
»Bei Bilairy, ich hasse diese Dinger!« Schaudernd wich er zurück. »Warum bewegen sie sich? Sollten die Hände und die restlichen Teile des Dyrmagnos nicht allmählich sterben?«
»Ja.« Mit ratlos gerunzelter Stirn schaute Seregil auf die Hände. »Ja, das sollten sie.«
Alec folgte Seregil durch eine stabile Tür an der Rückseite des Museums und zwei Treppenfluchten hinab zu einer Reihe von Korridoren, die sich unterhalb des Gebäudes erstreckten.
»Hier ist es«, verkündete Seregil und blieb vor einer unscheinbaren Tür in der Mitte des Ganges stehen. »Bleib hier, ich suche einen Aufseher, der uns hineinläßt.«
Alec lehnte sich an die Tür und schaute sich um. Die Wände und Böden bestanden aus dicht und plan aneinanderliegenden Steinplatten. In regelmäßigen Abständen steckten Zierlampen in Wandhalterungen und spendeten genug Licht, um von einem Ende des Korridors zum anderen zu sehen. Er überlegte gerade, wessen Aufgabe es wohl sein mochte, all die Lampen
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