Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
waren.
Hier brannten rund um die Uhr Feuer, um die allgegenwärtige Feuchtigkeit und Kälte zu vertreiben. Auf allen Böden lagen dicke Teppiche, Wein und Essen brauchte er nur zu bestellen, und er konnte jederzeit in einem eigens dafür vorgesehenen Zimmer am Ende des Ganges ein Bad nehmen – woran er mittlerweile Gefallen gefunden hatte. Später sollten einige seiner liebsten Erinnerungen an jene Zeit die Stunden sein, die er an stürmischen Tagen vor einem heimeligen Feuer verbrachte, während er das Geräusch des Regens genoß, der gegen die Fensterläden prasselte.
Wie immer schien das Leben mit Seregil von einer Art Zauber erfüllt; seine Begeisterung und untrübbar gute Laune dienten Alec, der sich einer schier endlosen Reihe von Lektionen gegenübersah, als Ansporn. Je mehr Alec lernte, desto mehr fühlte er sich wie jemand, den jahrelang ein unerkannter Wissensdurst gequält hatte, der ihm erst jetzt, da er ihn allmählich stillte, bewußt wurde. Im Gegenzug versuchte Alec, Seregil die Kunst des Bogenschießens beizubringen und weigerte sich ungeachtet aller gegenteiligen Beweise hartnäckig, seinen Freund als hoffnungslosen Fall aufzugeben.
Eines stürmischen Nachmittags fand Seregil den Jungen in der Bibliothek vor, wo er gedankenverloren, mit gerunzelter Stirn, den Blick über die Regale schweifen ließ.
»Suchst du etwas Bestimmtes?«
»Geschichtsbücher«, antwortete Alec und griff nach dem Rücken eines dicken Einbandes. »Letzte Nacht bei Lord Kalliens Salon meinte jemand, dieser Krieg könnte ebenso schlimm werden wie der Große Krieg. Ich habe mich gefragt, wie der wohl war. Du hast mir zwar ein bißchen davon erzählt, aber ich dachte, es wäre vielleicht ganz interessant, ein wenig nachzulesen. Hast du Bücher darüber?«
»So gut wie keine, aber in der Orëska-Bibliothek gibt es welche«, erwiderte Seregil, der sich innerlich freute, daß sein Schüler von sich aus eine solche Wißbegierde zeigte. Für gewöhnlich bevorzugte Alec eher körperliche Beschäftigungen. »Wenn du Lust hast, können wir rüberreiten und bei der Gelegenheit gleich Nysander besuchen. Wir haben seit Tagen nichts mehr von ihm gehört.«
Schneeregen prasselte auf sie herab, während sie durch die Straßen des Adelsviertels zum Orëska-Haus galoppierten. Sobald sie in die verzauberten Gärten rings um das Gebäude gelangten, verwandelte sich der Schneeregen in ein warmes, sanftes Nieseln.
Seregil schaute zum Himmel empor und fragte sich, ob den Magiern der ewige Sommer, der den Ort umgab, denn nie langweilig wurde.
Als sie auf dem Weg zu Nysander das zweite Zwischengeschoß durchschritten, stieß Alec Seregil an und deutete auf den Fußweg an der gegenüberliegenden Seite der Vorhalle.
»Schau mal«, murmelte er und grinste verhalten.
Als er Alecs Nicken folgte, erblickte Seregil Thero und Ylinestra, die Arm in Arm dahinschlenderten. Während sie die beiden beobachteten, warf Thero den Kopf zurück und ließ ein herzliches, echtes Lachen vernehmen.
»Thero kann lachen?« flüsterte Seregil verblüfft.
Alec sah zu, wie das Paar den Gang hinunter verschwand. »Meinst du, er ist verliebt in sie?«
»Wahrscheinlich ist er das, der arme Tropf. Oder vielleicht hat sie ihn verzaubert.« Er hatte es als Witz über Thero gemeint, aber als Alec plötzlich hochrot anlief, wünschte er, den Scherz für sich behalten zu haben. Weder sprach der Junge jemals über sein eigenes, offenbar verheerendes Stelldichein mit der Zauberin, noch ließ er irgendwelche Anzeichen von Eifersucht erkennen, wenn er Vermutungen über ihre weiteren Liebschaften anstellte, dennoch zeigte er sich höchst empfindlich, was die Umstände jener damaligen Begegnung betraf.
Magyana öffnete auf ihr Klopfen die Turmtür. In ihrem silbrigen Zopf hatten sich ein paar Weidenblätter verfangen, auf dem Kinn prangte ein Fleck feuchter Erde.
»Hallo, ihr beiden!« rief die Zauberin und ließ sie hinein. »Ich habe gerade im Garten ein paar allerliebste Schwertlilienwurzeln ausgegraben und wollte Nysander ein paar bringen, aber er ist nicht hier. Wethis sagt, er sei schon wieder losgezogen, um Leiteus í Marineus zu besuchen.«
Fragend zog Seregil die Augenbrauen hoch. »Den Astrologen?«
»Ja, in den letzten paar Wochen verbringt er ziemlich viel Zeit bei ihm. Anscheinend gibt es da eine Konjunktion, an der beide interessiert sind. Ich habe in meiner Werkstatt einen Zaubertrank auf dem Feuer, deshalb kann ich nicht bleiben, aber ihr könnt gerne
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