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Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond

Titel: Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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Wasser schloss sich über ihm, drang in seine Augen, seine Nase, seinen Mund und schließlich in seine Lungen, doch er fühlte keinerlei Unbehagen, keine Furcht. Verloren in gestaltloser Finsternis, trieb er dahin und wartete. Und erinnerte sich. In jener Nacht am Drachensee in Akhendi hatte er von diesem Ort geträumt, und davon, in dem See zu ertrinken. Der Traum selbst hatte sich inzwischen in winzige Fragmente aufgelöst, doch spürte er die gleiche Gewissheit mit der er gespürt hatte, dass er am Vhadäsoori war.
    »Welchem Zweck dient die Magie, Thero, Sohn des Nysander?«, fragte die tiefe Stimme.
    »Zu dienen, zu wissen …« Thero wusste nicht recht, ob er die Worte laut aussprach oder nur dachte, und es war auch ohne jede Bedeutung, denn der andere hörte ihn.
    »Nein, kleiner Bruder, du irrst. Welchem Zweck dient die Magie, Sohn des Nysander?«
    »Zu schaffen?«
    »Nein, kleiner Bruder. Welchem Zweck dient die Magie, Sohn des Nysander.«
    Die Finsternis bedrängte ihn, und er fühlte den betäubenden Druck auf seiner Lunge. Zum ersten Mal empfand er entsetzliche Furcht, doch er zwang sich, ruhig zu bleiben. »Ich weiß es nicht«, gestand er demütig.
    »Du weißt es, Sohn des Nysander.«
    Sohn des Nysander. Lichter tanzten vor seinen blicklosen Augen, aber Thero hielt sich unverwandt am Bild seines ersten Mentors fest, jenes einfachen, gutmütigen, humorvollen Mannes, den er viel zu oft unterschätzt hatte. Beschämt erinnerte er sich seiner Arroganz und wie sie ihn blind hatte werden lassen gegen die Weisheit Nysanders, bis es zu spät gewesen war, ihm die gebührende Ehre zu erweisen. Er erinnerte sich der Bitternis, die er empfunden hatte, wenn Nysander ihm Magie verwehrt hatte, die zu wirken seine Fähigkeiten längst ausreichend waren und die sein leeres, ödes Herz doch nicht weise hätte einsetzen können.
    Für einen Augenblick hörte er die Stimme seines alten Lehrers, wie sie geduldig erklärte: »Es ist nicht der Zweck der Magie, menschliches Streben zu ersetzen, sondern es zu unterstützen.« Wie oft hatte er diese Worte in all den Jahren geäußert? Wie oft hatte Thero ihre Bedeutung ignoriert?
    Der Halbmond tauchte vor ihm auf, tanzte sacht über der Wasseroberfläche über ihm. Noch immer von absoluter Dunkelheit umfangen, fühlte Thero, wie seine Macht über ihn hereinbrach, und seine Lippen verzogen sich im Ausdruck reinster Freude.
    »Gleichgewicht!«
    Wie eine Korkboje, die unvermittelt unter Wasser losgelassen wurde, schoss er zur Oberfläche hinauf und zerschlug die Reflexion des Mondes im Wasser.
    »Gleichgewicht!«, schrie er zum Himmel hinauf.
    »Ja«, sagte die Stimme zustimmend. »Besser als alle anderen Tír hat Nysander die Bedeutung von Auras Gaben verstanden. Wir haben darauf gewartet, dass er zu uns stoßen würde, doch es war nicht so bestimmt. Nun fällt dir diese Aufgabe zu.«
    Welche Aufgabe?, fragte sich Thero vor Aufregung erbebend.
    »Vor langer Zeit ging das Gleichgewicht zwischen deinen Leuten und den unseren, zwischen den Tír und dem Licht, verloren. Licht gleicht Dunkelheit aus. Stille gleicht Lärm aus. Tod gleicht Leben aus. Die Aurënfaie hüten die alten Bräuche; deine Art hat, nachdem sie eine Weile sich selbst überlassen war, die neuen begründet.«
    Thero tastete sich vorsichtig mit dem Fuß voran und stellte fest, dass er den festen Boden ohne Schwierigkeiten erreichen konnte. Er watete aus dem Wasser und ging auf die Gestalt zu, die auf ihn wartete, eine alte Bash’wai-Frau, deren schwarze Haut sich im Mondschein vor ihrem silbernen Haar abzeichnete.
    Thero fiel vor ihr auf die Knie. »Ist das der Grund, warum Klia erlaubt wurde, herzukommen? Gerade jetzt? Habt Ihr das geschehen lassen?«
    »Geschehen lassen?« Sie gluckste, und ihre Stimme erklang viel zu tief und voll für ihren zierlichen Leib. Sie streichelte ihm über den Kopf, als wäre er noch ein Kind. »Nein, kleiner Bruder, wir tanzen nur den Tanz mit allen Schritten, derer wir mächtig sind.«
    Verwirrt presste Thero eine Hand vor die Augen, ehe er wieder aufblickte. »Ihr sagtet, die Zauberer Skalas sollten geheilt werden. Was bedeutet das?«
    Doch die Bash’wai war fort. An ihrer Stelle hockte ein großes Drachenkind mit goldenen Augen. Noch ehe Thero irgendetwas tun konnte, sprang der Drache zwischen seinen nackten Beinen hindurch und biss ihn in die Hoden. Mit einem entsetzten Aufschrei sprang er auf und fühlte, wie sein Kopf mit etwas Hartem kollidierte, ehe der Mond wie ein fallen

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