Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
abtupfte. »Er wird es natürlich nicht zugeben – der behauptet, es läge am hiesigen Klima.«
»Könnte es das gleiche Fieber sein, an dem auch Ihr gelitten habt?«, fragte Beka.
Für einen Augenblick wirkte Thero vollkommen verständnislos, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, das nicht. Ich sehe einen dunklen Schatten, der über seiner Brust schwebt.«
»Wird er die Zeit der Verhandlungen überleben?«, fragte Alec, wobei er den alten Mann besorgt betrachtete.
»Beim strahlenden Licht, das Letzte, was wir jetzt brauchen, ist ein Diplomat, der mitten in dieser Geschichte das Zeitliche segnet«, knurrte Seregil.
»Warum lässt er nicht seine Nichte an seine Stelle treten?«, flüsterte Beka. »Lady Messandra weiß genauso viel über die Faie wie er.«
»Das hier ist die Krönung seiner langen und bemerkenswerten Karriere«, entgegnete Seregil. »Ich schätze, er könnte es nicht ertragen, diese Sache nicht bis zum Ende durchzustehen.«
Als das Mahl endete, kam Klia an ihr Ende des Tisches. »Heute Abend leben wir in dem Luxus, nichts tun zu müssen, meine Freunde. Kheeta í Branín sagt, vom Dach aus habe man einen herrlichen Blick auf den Sonnenuntergang. Hat irgendjemand Lust, mich zu begleiten?«
»Wir werden noch einen Aurënfaie aus Euch machen, Mylady«, sagte Seregil, und erhob sich, um ihr Gesellschaft zu leisten.
»Gut. Ihr und Alec könntet Euch heute Abend als unsere Minnesänger verdingen.«
»Wenn Ihr mich entschuldigen würdet, Mylady. Ich muss mich früh zurückziehen«, sagte Torsin, ohne sich von seinem Platz zu erheben.
Klia legte dem alten Mann eine Hand auf die Schulter. »Natürlich. Schlaft wohl, mein Freund.«
Diener brachten Wein, Kekse und Kissen auf die Aussichtsplattform auf dem Dach. Seregil kehrte noch rasch in sein Zimmer zurück, um seine Harfe zu holen. Als er sich ebenfalls zu den anderen gesellte, genossen jene bereits die Kühle des Abends. Die verweilende Glut des Sonnenuntergangs verschwand bald darauf am westlichen Horizont. Im Osten stieg bereits ein rötlicher Vollmond am Himmel über der Stadt auf.
Gerne räumte man ihm und Alec den Ehrenplatz gegenüber von Klia ein. Beka und Nyal machten es sich mit dem Rücken zur Wand in der Nähe der Tür bequem.
Als Seregil die ersten Noten von ›Jenseits des Meeres‹ anschlug, fühlte er plötzlich einen Kloß im Hals. Von seinem Sitzplatz aus konnte er den Pavillon auf Adzriels Haus sehen, in dem er so viele Abende für seine Familie gespielt hatte, wie er es heute für die skalanische Delegation tat. Ehe er sich jedoch in seinem Schmerz verlieren konnte, nahm Alec die Melodie auf und lockte seinen Blick durch eine fragend hochgezogene Braue auf sich. Seregil kämpfte gegen die unerwartete Trauer an und richtete all seine Konzentration auf das komplizierte Fingerspiel der Weise, und bald spielte er in schönster Harmonie mit dem Refrain der anderen, deren Stimmen jede verbliebene Unsicherheit in seinem Spiel übertönten.
Alec empfand die Tatsache, dass er Umgang mit königlichen Hoheiten pflegte, noch immer als recht amüsant. Vor nicht allzu langer Zeit war es ihm noch als höchster Genuss erschienen, in der Nähe eines rauchenden Herdfeuers in irgendeiner schmuddeligen Taverne zu hocken, damals, als die Faie noch Kreaturen aus der Legende waren und nicht seine eigenen Blutsverwandten.
Seregils Laune hob sich im Laufe des Abends, und beide erfüllten ihre neue Verpflichtung als Minnesänger mit Bravour. Als ihre Kehlen rau und trocken wurden, kümmerte sich Thero mit einer Reihe hübscher Illusionen, die er während seiner Reisen mit Magyana gelernt hatte, um die weitere Unterhaltung.
»Der Wein geht zur Neige«, stellte Kheeta schließlich fest.
»Ich hole Nachschub«, erbot sich Alec, getrieben von dem Wunsch, seine Blase würde sich ebenso leer anfühlen wie sein Kopf. Zusammen mit Kheeta sammelte er die leeren Krüge ein. Dann stiegen sie hinunter und gingen zu der Dienstbotentreppe am Ende des Korridors im zweiten Stockwerk. Unterwegs kamen sie an Torsins Zimmer vorbei, und Alec sah, dass die Tür einen Spalt offen stand. Im Raum dahinter herrschte tiefe Finsternis. Armer alter Mann, dachte er, während er leise die Tür ins Schloss zog. Es geht ihm wohl schlechter, als er zugeben will, wenn er sich so früh schon zurückzieht.
»Eure Prinzessen ist wirklich eine große Dame«, stellte Kheeta strahlend fest, als sie ihren Weg zur Küche fortsetzten. Auch er hatte seinen Teil des Weins genossen, und
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